http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1893/0498
492 Psychische Studien. XX. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1893.)
träumte ein Fräulein Bailly, eine Leiche sei an einer verborgenen
Stelle im Walde von Manehould verscharrt worden.
Durch Zufall an jene Stelle kommend, — ein Zufall, der
aber einer unbewussten Willensinspiration sehr ähnlich sieht,
— bemerkte sie frisch aufgewühlte Erde, unter der das
ermordete Kind einer Henriette Gustin lag, von deren Niederkunft
die Träumerin nichts gewusst hatte, wie sie vor
Gericht angab. Das „Journal des Tribunaux" vom
10. Januar 1863 berichtet, dass Henriette Gustin, weil sie
von ihren Eltern angestiftet worden war, freigesprochen,
die Mutter aber, die das Kind erstickt hatte, zu 5 Jahren
Zwangsarbeit verurtheilt wurde.1)
Die Skeptiker werden nun vielleicht meinen, dass in
unseren aufgeklärten Tagen derartige Träume nicht mehr
vorkommen, oder dass wenigstens ein Gerichtshof denselben
jede Bedeutung absprechen würde. Auch dies ist nicht der Fall.
Das MN eue Wiener Tagblatt" v. 13. Januar 1881 berichtet einen
Fall, von dem ich nur zu sagen weiss, dass in Böhmen eine
Familie, aus Vater, Mutter und Tochter bestehend, ermordet
wurde, und dass der Mörder auf Grund eines Traumes
ermittelt und hingerichtet wurde. — Ferner wurden 1879
die Caroline KÜhnel und deren Tochter bei Teplitz als
Leichen gefunden. Die schweren Wunden beider Hessen
keinen Zweifel an ihrer Ermordung. Der Verdacht richtete
sich auf das Haupt der Familie, Joseph Kühnel, der aber
nicht zu finden war. Der Sohn verkaufte das Anwesen an
einen gewissen Johann Watzke, der das Haus bezog. Im
Mai lb80 träumte derselbe, mit Johann Kühnel sich heftig
zu zanken, welcher ausrief: — „Wenn ihr mich auch weit
von da glaubt, so bin ich doch im Hause und bleibe
darin." — Er erzählte diesen Traum, und unter Zuziehung
einer Kommission warde eine gründliche Untersuchung des
Hauses vorgenommen, jedoch vergeblich. Watzke, dem der
Aufenthalt im Hause unheimlich wurde, nahm nun selbst
eine Durchsuchung vor. Nach einigen Tagen hob er im
Stalle einige Verschalhölzer weg und fand eine halbverweste
Leiche. Die rasch herbeigerufene Gerichtskommission erkannte
den verstorbenen Joseph Kühnel, der eben so schwere
Verletzungen trug, wie Frau und Tochter. Der Leichnam
war offenbar verborgen worden, um den Verdacht auf den
Vater Kühnel zu lenken. Verschiedene Umstände wiesen
nun auf den Sohn als Thäter hin, der verhaftet und durch
die Geschworenen in Leitmeritz zum Tode verurtheilt wurde.2)
*) Perty. — „Blicke in das verborgene Leben." 194.
2) „Paycbisebe Studien." 1881. S. 84.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1893/0498