http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1893/0583
Wittig: Parallelfälle zu dem nächtlichen Schreckgespenst etc. 577
ein Einsehen haben und die Sünden strafen, Hoffarth und
Hurerei und dergl., würde ihnen Gott Friede und gute
Zeit geben, Gott verkündigte es nicht Königen und Fürsten,
sondern einfältigen Leuten." —
Heute hätte sie sich nicht darüber entsetzt. Es ist ihr
hierauf vom Protokollführer zu Gemüthe geführt worden,
dass dies wichtige Sachen wären, ob sie daher auch diese
Aussagen eidlich bestärken könne, worauf sie gesagt, dass
sie nicht wüsste, was ein Eid wäre; der Mann hätte gesagt,
sie solle es bei ihrem Gewissen aussagen, und so wahr Gott
auf seinem Stuhle sässe, sie könnte es bei ihrer Seelen
Seligkeit nicht anders sagen.
Diese Erzählungen der alten Frau schienen dem Stadt-
rathe so wichtig, dass er dieselben unter dem 3. November
1644 in einem untertänigsten Berichte dem Kurfürsten
mitgetheilt hat. Später ist sie abermals vor versammeltem
Rathe vernommen worden, und sie hat wieder ausgesagt,
es habe eine Stimme in einem Garten mit ihr geredet und
ihr befohlen, den Leuten zu sagen, die Frauen sollten von
ihrem übermässigen Putz ablassen. Dann wären ihr in
ihrer Kammer drei schöne Jünglinge erschienen, welche ihr
gesagt hätten, dass, wenn die Menschen nicht von ihrer
Hoffarth, Hurerei, Wucher und Sünden abstehen würden,
so würde sie Gott mit Feuer, Sterben und Wassersnoth
strafen; aber auch der Kurtürst müsste vom Kaiser ablassen.
Hierauf hätten die drei Jünglinge zwei Lieder, welche sie
angab, gesungen, ihr nochmals aufgetragen, Alles zu sagen,
es solle ihr nichts widerfahren, und hinzugesetzt, dass Viele
sie verlachen und es nicht beachten würden; und das würde
das Zeichen solcher sein, ein weisses Kreuzchen an der Stirn
über der Nase, wie sie denn auch schon Etliche mit dergleichen
Kreuzchen gesehen hätte. In einer anderen Nacht sei ein
alter Mann in einem langen, weissen Barte mit einem grünen
Stabe in der Linken und einem Lichte in der Rechten in
ihre Kammer gekommen, der Stab sei bunt und von grünen
Knöspchen ganz bis hinunter ausgewachsen gewesen. Dieser
hätte getröstet und ganz dieselben Ermahnungen wie jener
ausgesprochen, aber wiederholt gesagt, der Kurfürst solle
vom Kaiser ablassen, sonst werde er in grosses Unglück
kommen, denn dieser werde in Kurzem sein Volk, alles
verlieren und nicht viel behalten, wogegen, wenn er das
thue, sein Haus grünen werde, wie dieser Stab. Einige
Nächte darauf habe sie wieder in ihrem Hause eine Stimme
fromme Lieder singen hören; allein wenn Jemand bei ihr
sitze, höre sie nichts. Endlich sei am 16. November wieder
ein Engelein mit Flügeln, ein Rautenkränzlein auf dem
Psychische Stadion. Deoember 1893. 37
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1893/0583