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8 Psychische Studien. XXI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1894.)
Grundzügen feststand. Die christlichen Priester mögen das
Ihre dazu beigetragen haben, dass der Teufel für den
Urheber dieser Erscheinungen gehalten wurde, dass die
alten Götter sich in dämonische Wesen verkehrten, dass
Versammlungen von Anhängern des alten Glaubens für
Teufelsfeste ausgegeben wurden; aber den Begriff des
Hexenwesens zu schaffen, hatten sie nicht nöthig, er war
schon in dem Volke vorhanden.
Beicht so die eine Wurzel — und es ist wohl für unsere
Heimath der Hauptstamm — in die germanische Vorzeit
hinauf, so können wir eine andere in das klassische
Alterthum verfolgen. Thessalien und Chaldäa war hier
der Sitz geheimer Künste, welche ganz unserem Hexenwesen
analog sind. Es handelt sich also bei diesem Gegenstande
durchaus nicht um die fixe Idee eines Volkes, welche in
späteren Zeiten ihren Siegeslauf durch die ganze Welt
nahm, sondern um eine Erscheinung, die an verschiedenen
Stellen des Erdballes zugleich auftauchte.1)
Wie dieselbe sich im Laufe der Zeiten immer mehr
ausbildete und von Priestern und Laien in ein regelrechtes
System gebracht wurde, wie sie nach der Reformation ein
wahres Volksunglück wurde, das ist wohl bekannt genug,
um mit Stillschweigen übergangen werden zu können. Wir
dürfen dies umsomehr thun, da es nicht in unserer Absicht
liegt, einen Beitrag zur Geschichte des menschlichen
Irrthums zu liefern.
Es gilt vielmehr zu untersuchen, welcher Kern von
mystischen Thatsachen diesem Glauben zu Grunde liegt.
Zur Beantwortung einer derartigen Frage dürfen wir aber
nicht jene Zeiten berücksichtigen, wo der Hexenprozess in
seiner höchsten Blüthe stand; denn jene seltsame Erscheinung
wurde damals, wenn die Eichter zu faul, oder zu dumm,
oder beides zugleich waren, um eine natürliche Ursache zu
erforschen, sofort den unglücklichen Hexen schuld gegeben.
Wir müssen selbstverständlich auf die Anfänge zurückgreifen
. Ehe eine Art von epidemischem Volkswahne die
Menschheit erfasst hatte, wurden zumeist nur solche Weiber
der Hexerei bezichtigt, welche auch in anderer Beziehung
nicht makellos da standen. Besonders waren es altgewordene
Buhlerinnen nnd Kupplerinnen. Diese Elenden, welche ihre
Lüste nicht mehr in natürlicher Weise befriedigen konnten,
1) Man vergl. hierzu Frau Margarethe Krepelkax — „Italische
Dämonologie und Mystik" in „Psych. Stud." Jahrg. 1891 S. 17, 68,
118 ff. — „Eine Wehrwolf-, Kobold- und Hexensage aus Nero'a Zeit**
in „Psych. Stud." Januar-Heft 1891 S. 31 ff. — Desgl. December-Heft
1891 S. 583 ff. - Der Sekr- d. Red,
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