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10 Psychische Studien. XXI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1894.)
sie bewusst oder unbewusst darauf gebracht werden, durch
telepathische Willensbeeinflussung hier und da einen
geringen Schaden zu stiften. Kurzum, das „Hexenwesen"
stellt sich dar als ein unentwirrbarer Rattenkönig von
mystischen Erscheinungen. Auf Grund derselben lassen
sich die Hexenfahrten, der unzüchtige Verkehr mit dem
Bösen, die vermeintliche und wirkliche Schädigung Dritter,
das Schwimmen auf dem Wasser und vieles Andere erklären.
Freilich bleibt auch dann noch ein unauflöslicher Rest; aber
es wäre geradezu wunderbar, wenn wir einen solchen nicht
fänden Während einerseits die eigene krankhafte Fhantasie
den Glauben an die persönliche Macht ins Unendliche
steigern mussto, that andererseits auch die Furcht vor
diesen unheimlichen Wesen das ihre, um derselben Fähigkeiten
anzudichten, welche sie in Wahrheit niemals besessen
haben. Selten oder nie mögen alle diese Eigenschaften in
einer Person vereinigt gewesen sein; aber was kümmerte
dies die ungebundene Einbildungskraft der Völker; Freilich
werden diese jedenfalls nicht Unschuldigen, besonders zur
Zeit, da der „Hexenhammer*' schier als Dogma und
Evangelium galt, nur einen kleinen Prozentsatz der Opfer
jenes Glaubens gebildet haben: — vollständig uttcchuldig
war jedenfalls die grosse Mehrzahl der Unglücklichen.
Einige sind, wie man mit Sicherheit aus den Protokollen
ersehen kann, auch Autosomnambule, welche, wenn sich
ihre Krankheit etwas anders geäussert hätte, wenigstens im
Mittelalter kanonisirt worden wären. Es ist daher eine
bittere Ironie, dass die Kirche die im Grunde gleichen
Erscheinungen bald mit dem Heiligenscheine, bald mit dem
Scheiterhaufen belohnte.
(Fortsetzung folgt.)
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