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Wittig: Parallelfälle zu dem nächtlichen Schreckgespenst etc. 17
mit dem erhobenen Arme nieder, so dass das Licht erlosch.
Der Vater, der uns Kindern dieses Begebniss vielmals erzählt
hat, hatte bei dieser Beleuchtung zu seinem Schreck keinen
Kopf gesehen! Es war, als wenn das graublaue Gespenst
sich nunmehr vor ihm zusammenkugelte und vor ihm und
seitwärts herrollte und wälzte wie eine grosse runde Kugel,
aus der sich ein etwas helleres Licht zur Seite entwickelte
gleich einer Laterne, und die schliesslich eine zwergartige
Mannsgestalt ohne Kopf annahm. Hinter diesem ihn mit
dem Licht umgaukelnden Ungeheuer musste er immer am
Waldrande hin und weiter gehen, denn es Hess ihn weder
zurück, noch seitwärts, und als der Busch zu Ende war,
trieb es ihn mit seiner Last auf Feldwegen und Rainen
immer weiter auf einem grossen Umwege oder Bogen
zwischen Mittel- und Hinter-Tellnitz hindurch bis nach
Adolfsgrün wohl über eine ganze Stunde weit, so dass er
vor Ermüdung keuchte und schwitzte. Der gerade Weg
vom Schäferrande bis Streckenwalde beträgt etwa eine gute
Viertelstunde. Er wusste zuletzt nicht mehr, wo er war,
bis er auf den Kreuzweg vor Adolfsgrün kam, dessen eine
sich schneidende Strasse nach Tellnitz führt, wo er sich
erst wieder zurecht fand. Hier auf diesem Kreuzwege
versank das Gespenst plötzlich vor ihm wie in den Erdboden
und war und blieb verschwunden! Nun hatte er noch eine
kleine Viertelstunde bis heim nach Streckenwalde, wo er
gegen Mitternacht ganz erschöpft und leichenblass zur
Mutter kam und ihr die Geschichte erzählte, ohne sich
dieselbe erklären zu können. Unser Vater war kein furchtsamer
Mann, befand sich aber in einem Zustande wie unter
einem Alpdrucke, dem er bei aller flerzhaltigkeit nicht
entweichen konnte. Passirt ist unserem Vater unmittelbar
hierauf nichts, nur dass er sehr ernst und nachdenklich
geworden war. Im folgenden Frühjahre brach der unglückliche
Krieg zwischen Preussen und Oesterreich aus. Verunglückt
, d. h. vom Dache gefallen, ist der Vater aber erst
zwanzig Jahre später." — Ich bemerke hierzu, dass in
diesem Walde, wie überhaupt in der ganzen Umgegend,
hartnäckige Kämpfe zwischen den von der Schlacht bei
Dresden am 27. August 1813 über den dortigen Gebirgspass
nach Böhmen hinein fliehenden Hussen und dem sie verfolgenden
General Vandamme am 28, August 1813 stattgefunden
haben, ehe die Schlacht bei Kulm am 29. und
30. August das französische Heer fast vernichtete. Vierzehn
Tage später führte Napoleon selbst sein 1., 2. und
14. Armeecorps in diese Gegenden, um bei Nollendorf,
Kulm und Arbesau am 17. und 18. September die Nieder-
Psychische Stadion. Januar 1894. 2
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