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24 Psychische Studien. XXI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1894.)
— erzählten, Sarah sei bleich wie ein Gespenst wieder
heruntergekommen. Ich entnehme dieses und weitere
Beispiele dem klassischen Werke „Phantasms of the Living"
und zwar aus der auszugsweisen französischen Uebersetzung
von Marillier.1) Dass die Einbildungskraft eines Schlafenden
in jede Entfernung wirken kann, wusste schon Paracelsus:
— „Im Schlaf kann die Imagination den siderischen
Menschen aus dem elementarischen hinausschicken, damit
er dort seine Wirkung vollbringe." 2)
In einem anderen Fall ist es eine bildliche Vorstellung,
die sich vom Träumenden fern wirkend überträgt: — Ein
Domherr berichtet, dass er als Landpfarrer einst zu einer
sterbenden Freundin gerufen wurde, die 60 englische Meilen
entfernt wohnte. Er kam zu ihr 3 Uhr Nachmittags. Er
traf sie schlafend und setzte sich in ihrem Zimmer nieder,
ihr Erwachen abzuwarten, das auch sogleich erfolgte. Erstaunt
, ihn zu sehen, erzählte sie, sie käme eben aus seiner
Pfarrkirche, in der er so schöne Veränderungen vorgenommen
habe, und beschrieb dieselben genau in allen Einzelheiten,
wiewohl sie sie niemals gesehen hatte und er davon ausserhalb
seiner Pfarrei nie gesprochen hatte. Ein paar Tage darauf
starb sie. Der Pfarrer hatte Niemandem von diesem Ferngesicht
der Kranken erzählt und dachte nicht mehr daran,
als etwa einen Monat später eine alte Dienerin ihn ansprach.
Sie müsse ihm etwas erzählen, sagte sie, was ihr keine ßuhe
lasse, wovon sie aber aus Furcht, verlacht zu werden, mit
Niemandem gesprochen. Am Tage nämlich, als er zur
erkrankten Freundin gerufen worden, war sie um 3 Uhr
Nachmittags m der Kirche beschäftigt und sah dort in
der Ecke knieend eine Frau, die sich erhob und durch die
verschlossene Sakristei sich entfernte. Der Pfarrer, nun an
jene Vision der Sterbenden sich erinnernd, verlangte von
der Dienerin eine genaue Beschreibung der Fremden. Diese
Beschreibung entsprach der Verstorbenen: — sogar eine
sonderbare, mit vielen Taschen versehene Jacke, welche sie
bei ihren Armenbesuchen trug, wurde erwähnt. Der Pfarrer
gab sodann der Dieneiin ein Packet versperrt gehaltener
Photographien und forderte sie auf, darin nachzusehen, ob
jene Fremde darunter sei. Sie fand das entsprechende
Bild, sah e3 genau an, suchte weiter und kam wieder auf
das erstere Bild zurück, und bezeichnete es als das der
Fremden. Befragt, warum sie einen Augenblick gezögert
hatte, entgegnete sie, die Dame in der Kirche sei magerer
l) Marülier: — „Lea haUuciuations T616pathiques" 295,
*) Paracelsus: — „Philosophia sagax." 1.
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