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44 Psychische Studien. XXI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1894.)
werden; da aber am Charfreitag nach katholischem Ritus
keine Messe gelesen werden darf, so ist nach der Volksmeinung
ein Geistlicher, der sie dennoch liest, im Bunde
mit dem Teufel, den er durch diese unkirchliche Handlung
zwingt, ihm den Aufenthalt der Seelen zu verrathen, oder
sogar Diebe ausfindig zu machen« Liest ein Franziskatier
am Charfreitag die Messe, so soll er im Stande sein, bei
der Wandlung den Aufenthaltsort eines abgestorbenen Angehörigen
des Messebestellers im Himmel, im Fegefeuer
oder in der Hölle genau zu erkennen. Auch soll durch
eine Zwingmesse genau zu ermitteln sein, wo der unbeerdigte
Leichnam eines erschossenen Wilderers im Gebirge liege.*)
Sehr geschätzt war dem Bergvolk auch der 'Almsegen' der
Hinterrisser Franziskaner, den man erbat wem der 4Vieh-
schelm' die Gegend heimgesucht hat, an welchen vor 80 und
100 Jahren sehr stark geglaubt wurde, und den man mit
Gebet und Räucherung, mit geweihtem Salz und Kräutern,
Segnungen und Weihbrunnen zu bannen suchte. Nach alten
Aufzeichnungen erschien der Viehschelm sichtbar äusserst
selten, heutzutage (begreiflicherweise) gar nicht mehr, wenn
aber doch, so in Gestalt eines unheimlichen alten Mannes,
oder als schwarzer zottiger Stier, dessen hintere Hälfte
schlotterige Aasknochen, von einer lose überhängenden
Haut bedeckt waren. Ein Schrei des Viehschelms kündete
Unglück für das Vieh: — Rinderpest und Milzbrand; gegen
letzteren wurde der Geistliche zu Hilfe gerufen. — Der im
Jahre 1841 gestorbene Superior der Franziskaner im Risser
Klösterl genoss einen grossen Ruf als frommer und gelehrter
Mann, der sehr glücklich war in Heilung von kranken
Menschen und Vieh. Um diesen Pater liefen die Leute
tagweit und schleppten ihn auf die höchsten Almen. Kurz
vor seinem Tode wurde der Superior auf die Schleimserjochalm
geholt, weil dort der Viehschelm arg ausgebrochen
war. Die Sage erzählt, der Superior habe mit dem
Sanktissimum [Allerheiligsten in der Monstranz oder dem
kleineren Ciborium] die Alm, den Almboden, Gräser und
Kräuter gesegnet und den feindlichen Viehschelm auf eine
schmale Weidelinie gebannt, welche hinfort gemieden werden
musste. Das Vieh, das diesen Streifen überschritt, fiel der
Seuche zum Opfer. — Kehren wir aus der Geisterwelt
wieder in die irdische, wildschöne Riss zurück. Das Jagd-
*) Vergl. „Psych. Sind.« Decbr.-B>ft 1893 S. 580 ff. die neueste
Schändung des Grabes eines bayrischen Förster, der vermutblich einen
Wilddieb erscboss und heimlich beseitigte, durch Haberer. —
Der Sekr. d. Red.
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