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84 Psychische Studien. XXI. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1894.)
Ich verüble es also der Autorin nicht, dass sie so wenig
von Fesselung der Medien und ähnlichen Dingen zu berichten
weiss. Sie schreibt nicht für Skeptiker, und nur manchmal
berührt sie die landläufigen Einwürfe mit gesundem Humor
und scharfer Logik. Stand für sie der redliche Charakter
eines Mediums fest, dann verzichtete sie aaf erschwerende
Bedingungen. Zweifler werden sagen, es sei eine lächerliche
Vertrauensseligkeit, ein Medium nicht zu fesseln. Wenn
aber aus dem Kabinet nach einander mehrere Gestalten
von verschiedenem Ansehen und Grösse treten; wenn die
Phantome gleichzeitig mit dem Medium sichtbar sind, von
fremden Zuschauern als verstorbene Angehörige erkannt
werden und über die Angelegenheiten jener sprechen u. s w.,
dann ist es vollständig gleichgültig, ob das Medinm gefesselt
ist, oder nicht; denn ein ungefesseltes Medium kann sich
zwar maskiren und als Geist heraustreten; es kann sich
aber nicht vervielfältigen. Da nun Florence Marryat, mit so
zahlreichen Medien in verschiedenen Ländern experimentirend,
ihre verstorbenen Angehörigen, Freunde und die eigenen
Kinder gesehen und gesprochen hat, und zwar in der gleichen
Weise bei verschiedenen Medien, so begreift sich ihre unerschütterliche
Ueberzeugung. Uebrigens sind es nicht nur
Materialisationen, von welchen sie zu berichten weiss; es
sind so ziemlich alle Phänomene in ihrem Buch vertreten,
die der Spiritismus überhaupt bietet.
Auch zahlreiche Privatmedien, ihrem Freundeskreis
entnommen, treten auf, und immer wieder findet derselbe
Reichthum von Phänomenen statt. Wir wundern uns aber
darüber nicht mehr, da wir hören, dass sie selbst ein ganz
bedeutendes Medium ist, das nicht blos Verstorbene, sondern
auch Lebende zur Erscheinung zu bringen vermag, wovon
sie ein paar interessante Fälle berichtet. Dass sie auch
mit dem durch Crookes so betühmt gewordenen Medium
experimentirt hat, versteht sich von selbst. Auf Detailberichte
kann ich mich aber nicht einlassen, weil ich damit nicht zu
Ende käme.
Kurz, es ist ein verblüffendes Buch, und wer nicht etwa
zu dem Mittel greift, zu sagen, Florence Marryat habe einen
Roman geschrieben, wird gestehen müssen, dass der
Spiritismus, vor noch nicht 50 Jahren mit Klopflauten
beginnend, durch beständige Steigerung der Phänomene eine
Absicht verräth, seine Anerkennung zu erzwingen. Wird
er sich aber von seinen Schlacken immer mehr reinigen
und einst das sein, wozu er bestimmt zu sein scheint, dann
werden seine derzeitigen Gegner auch längst der Vergessen-
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