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196 Psychische Studien. XXI. Jahrg. 4. Heft. (April 1894.)
ihm Heilung gegeben werden solle. Der Staatsanwalt halte
dies nicht für zutreffend, da er sage, dass Jost sich für einen
tibernatürlichen Menschen halte. — Das sei eine Prämisse
des Staatsanwalts, die, wie auch der früher von ihm ausgesprochene
Verdacht, dass Jost Zutreiber habe, nicht mehr
aufrecht erhalten werden könne. — Die Theorie der Staatsanwaltschaft
wäre — die mala fides des Schlofer, hinsichtlich
der Hypnose, vorausgesetzt — nur dann annähernd richtig,
wenn Jost die Initiative ergriffen hätte, um Patienten
heranzuziehen, oder in denselben bestimmte Vorstellungen
bezüglich der Metbode und der Tragweite seiner Heilkraft
zu erwecken. Bei einer seiner wiederholten Vernehmungen
habe der Angeklagte schon mit Recht darauf hingewiesen,
dass er sich noch Niemand gegenüber für einen Wunderthäter
ausgegeben oder absolut untrügliche Erfolge seiner hypnotisch
gegebenen Rathschläge behauptet hätte. — Jeder Besucher,
welcher in der kritischen Zeit, um welche die Anklage sich
drehe, bei Jost erschienen sei, habe genau gewusst, unter
welchen Modalitäten Jost seine Heilpraxis ausübe, Leistung
und Gegenleistung habe genau festgestanden. Nicht wahr
- sei es, dass bestimmte und zwar unrichtige Vorstellungen
über den Erfolg der Jos?sehen Thätigkeit in den Patienten
erweckt worden seien. Damit entfalle das Moment der
Täuschung und in gleicher Weise das der rechtswidrigen
Vermögensschädigung. Redner geht nunmehr kritisch auf
den Begriff des strafrechtlichen Betrugs ein und führt an
diversen Beispielen aus, dass der vorliegende Fall keineswegs
unter denselben subsummirt werden könne, — Die Anklagebehörde
fühle dies auch selbst, da sie heute beim Rückblick
auf die ihr so ungünstige Beweisaufnahme, wie schon
erwähnt, einen gänzlich veränderten Gesichtspunkt zur
Grundlage ihrer Angriffe mache. Als oratorisches Meisterstück
sei diese Wendung der Staatsanwaltschaft gewiss
bewundernswürdig; die Logik, welche erwiesene Thatsachen
aber lediglich als imaginär betrachte, streife hart an
Sophistik. Von ihr sage Deutschlands grösster Dichter und
Denker etwa*, was man mit einer leichten Modification auf
die gegenwärtige cause c61£bre leicht anwenden könne: —
„Mit Worten lässt sich trefflieh streiten,
Mit Worten ein System bereiten.
Denn eben wo Beweise fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein."
Die Sachverständigen überböten darin noch den Ankläger
, sie setzten gegen die Beweise den Autoritätsglauben,
natürlich aber nur denjenigen an ihre eigenen Autoritäten.
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