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Wittig: Ein hellsehendes Heilmedium im Kampfe etc. 197
Am drastischsten ergebe sich dies gegenüber den duroh
Major Klosterfelde so präcis vor dem Gerichte bekundeten
Thatsachen, wo die Herren Professoren sogar dafür wissenschaftliche
Beglaubigung verlangten, dass nach der bestimmten
Aussage des Zeugen die in einem sächsischen Orte hypno-
tisirte Person auf Hunderte von Meilen eine ihr völlig unbekannte
Zimmereinrichtung und Aussehen der Bewohner
in Magdeburg beschrieben habe.
Nunmehr geht der Redner in stundenlangen sorgfältigen
Ausführungen auf die Kritik der einzelnen Fälle ein. — Es
muss eine schreckliche Quai für den Vertheidiger gewesen
sein, alles das wiederzukäuen, was im Laufe der ganzen
Verhandlung sich ergeben. — Dabei hat er auf Grund der
aktenmässigen und Zeugenaussagen den Nachweis erbracht,
dass die Theorie des Staatsanwalts, es handle sich um
gleichgestellte Fälle, falsch sei. Der Vertheidiger hat auf
alle gebildeten Männer exemplificirt, welche mit der Absicht,
jede Komödie zu durchschauen, hingegangen sind. Er
erwähnt hierbei Himpler, einen sehr ruhigen Beamten, und
den Gebweiler Fabrikanten Wunsch. Beide gehen widerstrebend
zu Jost, lassen sich nicht ausfragen, sagen nicht,
ob sie für einen Mann oder eine Frau kommen, und in der
ersten Secunde, ohne sich zu besinnen, sagt Jost dem Himpler,
der vom Herrn Staatsanwalt selbst als sehr maassvolle, vertrauenswürdige
Persönlichkeit geschildert wird, und Munsch
das Richtige. An den beiden Fällen sei interessant, dass
selbst der endgiltige Erfolg sie nicht von ihrer Skepsis
geheilt, dass sie neue Proben gemacht haben, und dass die
Hellseherei sich dabei bestätigt. Redner weist an der Hand
dieser Beiden und derjenigen einer ganzen Reihe anderer
schriftlicher und mündlicher Zeugnisse, wie sie hier abgegeben
wurden, nach, dass auch die Behauptung der Anklage, Jost
habe sich zumeist in allgemeinen Phrasen bewegt, unrichtig
sei. — Woher erkläre der Staatsanwalt die Thatsache, dass
der einen Zeugin aus Baden, welche auf ihren Eid bekundet,
Jost nie vorher gesehen oder gesprochen zu haben, vom
Angeklagten sofort wahrheitsgemäss erklärt wird, ihr krankes
Kind habe schon drei Mal Diphteritis gehabt? Und wie
wunderbar sei die Consultationsgeschichte des Zeugen Kempf
aus Markirch, der auch in absentia für sein Kind konsultirt,
wo Jost mit gröbster Genauigkeit das Vorhandensein der
zurückgetretenen Scharlachfrieseln konstatirt, das Ausbrechen
grosser Eiterquantitäten vorhersagt und bei jedem ferneren
Besuche lediglich aus den Haaren das weitere momentane
Krankheitsbild bis ins einzelnste erkennt! Derartiges schaffe
man mit dem Dogma, „die Hellseherei existire nicht",
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