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Wedel: Mystische Erscheinungen in Sage u. Volksaberglauben. 237
Zahnschmerzen habe, und auf die bejahende Antwort sagt
er entschieden mit lauter kräftiger Stimme: — „Das ist
nicht wahr; es ist dennoch nicht wahr!"1) — Erwähnt zu
werden verdient hier, dass die „klugen Männer und
Frauen" durchaus nicht immer für ihre Heilungen eine
Bezahlung verlangen; häufig müssen sie sich, wenn sie ihre
Gabe nicht verlieren wollen, ohne Murren mit dem begnügen,
was ihnen geschenkt wird, manchmal ist sogar, z. B. im
Spreewalde, die Annahme aller Belohnungen verboten.
Jedenfalls liegt hierin ein hoher sittlicher Gedanke, indem
der Heilende seine Kunst in selbstloser Weise ausüben
muss. Und dass dieses Moment ganz dazu angethan ist,
das Vertrauen der Leidenden zu stärken, liegt auf der
Hand. Dass freilich dieses Prinzip häufig genug durchbrochen
wird und der Kundige mit seiner Kunst ein
einträglich Geschäft treibt, dass Kurpfuscher aller Art
dieselbe in Misskredit bringen, soll durchaus nicht geläugnet
werden. Nichtsdestoweniger dürfen diese Fälle, wenigstens
auf dem Lande, fern von dem zersetzenden Einflüsse
grosser Städte, die Minderzahl bilden. In vielen Fällen ist
die Handlungsweise in einen allegorischen Hokuspokus
gehüllt, welcher ganz dazu geeignet ist, die Phantasie der
Kranken zur Theilnahme anzuregen. Das trifft besonders
beim Uebertragen der Uebel auf Pflanzen und
Thiere — manchmal sogar auf Menschen — zu. Wer
sich über diese Gebräuche näher unterrichten will, möge
es sich nicht verdriessen lassen, die mehrfach angeführten
Werke von Meyer und Wuttke zu lesen.*)
Aber nicht hierauf allein beschränkt sich die magische
Heilkunst. Fast von gleicher Wichtigkeit und Häufigkeit
ist die Anwendung des thierischen Magnetismus.
Bekannt sind die Heilungen durch Handauflegen
im Neuen Testamente. In der „Edda" erfleht Brynhild
sich und ihrem Geliebten heilende Hände,2) Die nämliche
Gabe wird den französischen Königen zugeschrieben.3) —
Werden in einer Ehe sieben Söhne hintereinander geboren,
so hat der Siebente die Gabe der heilenden Hand.4) Sie
ist erblich, doch kann sie immer nur auf ein Familienmitglied
anderen Geschlechtes übertragen werden. Auch wird häufig
gefordert, dass das Heilende anderen Geschlechtes sei, als
*) Most: „dympathie." S. 119.
*) Vergl. noch „Psych. Stud." Juni-Heft 1886 S. 246, Januar-
Heft 1885 S. 42 ff* Der Sekr. d. Red.
2) Sämunds Edda, Sigurdrifumal.
») Simrocki — „Mythologie." 524.
4) Grimm; — „Mythologie. S. 1104.
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