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Wittig: Parallelfälle zu dem nächtlichen Schreckgespenst etc. 251
Locke nehm' ich mit mir fort» | Sieh sie an genau! ] Morgen bist
Du gran, | Und nur braun erscheinst Du wieder dort
„Höre, Mutter, nun die letzte Bitte: | Einen Scheiterhaufen
schichte Du; | Oeffue meine bange, kleine Hütte, | Bring in Flammen
Liebende zur Ruh! | Wenn der Funke sprüht, j Wenn die Asche
glüht, | Eilen wir den alten Göttern zu." —
So Goethe^ unvergeichliehes Meisterwerk 1
Unser Gewährsmann, Herr Otto Immisch, sagt nun an dem
oben citirten Orte nach einigen einleitenden Bemerkungen,
dieses herrliche Gedicht von Goethe sei schon frühzeitig als
aus der melancholisch-romantischen Gespenstergeschichte von
Machates und Philinnion stammend erkannt worden, mit der
das „Buch der Wunder" von Phlegon aus Tralles, einem
Freigelassenen des Kaisers Hadrian, beginne. Erich Schmidt
habe im „öoeri^-Jahrbuch" IX, 229 (1888) nachgewiesen,
aus welchen Nacherzählungen Goethe etwa geschöpft haben
könne. Das uns überlieferte Buch Phlegon's war jedoch
gerade am Anfang lückenhaft und verstümmelt Die Erzählung
beginnt bei ihm damit, dass eine alte Magd, die
Amme (offenbar der verstorbenen Philinnion), im Gastgemach
die Liebenden bei einander sieht und dies den Eltern des
Mädchens, Charilo und Demostratus, meldet. Charito steht
zuerst wie erstarrt da, dann aber schilt sie weinend die
Alte als von Sinnen. Diese aber bleibt fest bei ihrer
Aussage, und die Mutter sieht in heimlicher Beobachtung
wirklich ihre gestorbene Tochter bei Machates, ihrem
Gaste. Am anderen Morgen erfährt sie von diesem auf
Befragen, dass Philinnion ihm schon zum zweiten Male so
erschienen sei zu liebender Vereinigung, und er zeigt zum
Beweise der Wahrheit einen goldenen Ring und ein Busenband
, das er von ihr letzte Nacht erhalten habe. Das ganze
Haus bricht in Klageu aus. In nächster Nacht kam sie
wieder, „wie sie gewohnt war". Machates glaubt, weil sie
doch mit ihm zusammen isst und trinkt, durchaus nicht,
dass sie todt und ein Gespenst sei, sondern hält sie für eine
verkleidete Dirne, deren Vater von Leichenräubern Kleid
und Schmuck der gestorbenen Haustochter gekauft habe.
Die herbeigerufenen Eltern erkennen aber und umarmen
Philinnion. Die aber spricht: — „0 Mutter und Vater, wie
unbillig thut ihr, dass ihr mir missgönnt, mit dem Gaste
auf drei Tage" — sie war also das dritte Mal gekommen!
— „zusammen zu sein im Vaterhause, da ich doch Niemand
ein Leid thue. Darum werdet ihr von neuem Trauer haben,
um eurer Voreiligkeit [Zudringlichkeit, Neugier?] willen,
ich aber entweiche wiederum an den mir bestimmten Ort.
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