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264 Psychische Studien. XXI. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1894.)
geöffnete Tkfire hielt. Er blickte sie lächelnd an, sie aber
forderte ihn unwillig auf, sich zu entfernen, worauf er
entgegnete: — 'Ich nehme Abschied von Ihnen, ich verreise/
— Auf abermalige Aufforderung verschwand das Phantom,
die Thüre schliessend. Es war das in der Nacht, in welcher
ihr Bräutigam an einem Herzleiden gestorben war, von dem
sich bis dahin kein Symptom gezeigt hatte.1)
Herr Woolcott fuhr vom Cap der guten Hoffnung nach
Indien. In einer Nacht wurde er schwer von einem Traume
beunruhigt, so dass er den Schiffsofficier, mit dem er zusammen
schlief, weckte. Er hatte seine in England befindliche
Mutter sterbend gesehen. Zwei Aerzte befanden sich bei
ihr, wovon der eine, sein Vetter, den er in China vermuthete,
dem anderen vorwarf, eine falsche Diagnose gestellt zu
haben. Der andere bestand auf seiner Ansicht. Während
der ganzen übrigen Reise wurde Woolcott seine Angst nicht
los. In Indien angekommen, erhielt er die Bestätigung des
Todesfalles und die Nachricht, dass sein von China zurückgekehrter
Vetter beim Tode der Mutter anwesend gewesen
und mit dem anderen Arzte jenen Streit gehabt hatte.2) — Ein
Herr im Süden von England hatte mit einem Freunde einen
gemeinschaftlichen Aufenthalt in Cambridge verabredet. In
einer Nacht erwachend, sah er den Freund, am Fasse seines
Bettes sitzend, triefend von Wasser. In der gleichen Nacht
wiederholte sich die Erscheinung. Bald darauf kam die
Nachricht, dass der Freund kurz vor dieser Erscheinung
beim Baden ertrunken war.3)
Kapitän Rüssel Colt erhielt von seinem vor Sebastopol
liegenden Bruder einen Brief, der Unwohlsein und Niedergeschlagenheit
verrieth. Er antwortete ihm, sprach ihm
Muth zu und bat ihn, wenn ihm etwas zustossen sollte, ihm
in dem Zimmer zu erscheinen, worin sie so häufig zusammen
gewesen waren. Am 8. September erwachte der Kapitän
plötzlich und sah in der Nähe seines Bettes seinen Bruder,
knieend und von einem phosphorescirenden Licht umgeben.
Er erinnerte sich nicht mehr seines dem Bruder abgeforderten
Versprechens und glaubte an eine vom Mondlicht erzeugte
Illusion. Das Phantom richtete auf ihn zärtliche Blicke,
aber voll tiefer Traurigkeit. Der Kapitän sprang aus dem
Bett und, ans Fenster tretend, überzeugte er sich, dass
kein Mondlicht sichtbar war und dunkle, regnerische Nacht
herrschte. Er schritt durch die Gestalt hindurch gegen die
*) Marillier. 156—159.
*) Derselbe. 108—109.
Derselbe. ISO.
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