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Kurze Notizen.
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gewissen pathetischen Uebertreihung den 'Wilden* als
unglücklichen Spielball seiner Visionen und Träume hinzustellen
, während wir Culturmenschen mit solchem Mummenschanz
nichts mehr, wie man eindringlich versichert, zu thun
haben. Mit vollem Kecht wendet unser Gewährsmann ein,
dass wir noch, sofern wir ehrlich gegen uns selbst sind, mit
vielen maassgebenden psychologischen Vorstellungen auf
demselben Boden des so wohlfeil verspotteten 'Animismus'
haften. Er sagt: — ,Man pflegt sich das Zaubern und Hexen
der Naturvölker als eine Kunst vorzustellen, die uns ganz
fern liegt. Geht man jedoch von dem Wesen ihrer Kunst
aus, so ist nichts gewöhnlicher, auch im Leben der Culturmenschen
, als das Hexen, freilich ein unsystematisches,
launenhaftes Hexen. Wer träumt, hext; er ist nicht an
den Ort und die Gestalt gebunden und ist zu beliebigen
Leistungen mit jeder Person oder Sache befähigt. Lebhafte
Spiele der Einbildungskraft sind nur quantitativ, nicht
qualitativ vom Traumhexen verschieden. Wer das Bild des
Geliebten küsst, bereitet sich zum Hexen vor. Wer seinem
fern weilenden Schatz durch die Luft einen Kuss zuwirft,
macht sich der Hexerei schon dringend verdächtig, denn
es steht zu befürchten, dass er glaubt, der süsse Hauch
erreiche die Adresse und werde dort empfunden. Wer aber,
wie der grosse Zauberer Goethe seinem Famulus Eckermann,
erklärt: — 'Ich habe in meinen Jugendjahren Fälle genug
erlebt, wo auf einsamen Spaziergängen ein mächtiges Verlangen
nach einem geliebten Mädchen mich überfiel und ich
so lange an sie dachte, bis sie mir wirklich entgegenkam',
— der hext schon nach allen Regeln der Kunst. Vollständig
im Banne der echten Hexerei steht, wer auch nur eine
Sekunde lang, wenn ihm die Ohren klingen,*) sich der Ueber-
zeugung hingiebt, dass man Gutes oder Schlechtes von ihm
gesprochen habe, oder wer sich von einem Freunde den
Daumen halten lässt, dass ihm irgend etwas gelinge, oder
wer seinen Wünschen die Kraft zutraut, den Ablauf
angenehmer und unangenehmer Geschehnisse zu beeinflussen.*
— Wir haben damit, um den bekannten jPj//ör'sehen Ausdruck
zu gebrauchen, ein echtes, unverfälschtes Ueberlebsel
vor uns, dessen psychologische Entwickelung zwar den meisten
so wenig klar ist, dass sie es (harmlos genug) nur für eine
schöne poetische Redensart halten, dem jede reale Grundlage
abginge, als ob je eine Metapher, ein Symbol etc# aus
*) Vergl. hierzu „Psych. Stud." Mai-Heft 1890 S. 231 und Juni-
Heft 1889 8. 29J den Artikel der Frau Krepelka über „Ludwig Börnes
Bericht vom Ohrenklingen.11 — Der Sekr. d. ßed.
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