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406 Psychische Studien. XXL Jahrg. 8. Heft. (August 1894.)
Hause 'Zum ungläubigen Thomas' sich einzuquartiren, da
selbst die gröberen Geister, durch die Stille der Oberwelt
verwöhnt, bei ihren irdischen Gastspielen lärmenden
Gegenden gern ausweichen. Nun konnte es keine stillere
Schlafstelle für zwei empfindliche Schattenwesen geben, als
die Remise, die sich an das Stallgebäude im Hofe des
Spukhauses anschloss... Eine uralte Kalesche im hintersten
Winkel war mit der Zeit zum Skelett eines Wagens herabgeschwunden
, und an dem Pferdegeschirr, das über dem
hölzernen Bock paradirt hatte, hingen die Beschläge nur
noch durch dünne Fäden zusammen. Sobald Heinrich Müller,
der ehemalige Weinreisende, dies Ruinenwerk erblickte,
erklärte er, dasselbe ausschliesslich in Besitz nehmen zu
wollen. . . . Johann Gruber fand eine grosse Kiste in dem
anderen Winkel der Remise." . . . Inzwischen zog Frau
Cordula mit ihrer Tochter in die Kutscherwohnung, — und
„der Weinreisende fasste vom ersten Tage an eine so
heftige Neigung zu dem schönen, schlanken Menschenkinde,
dass er den Gedanken, fern von ihr in seinem liebeleeren
Geisterreich zu verweilen, als völlig unfassbar erkannte. Er
war bei seinen Lebzeiten ein Frauenheld gewesen und hatte
in jedem Städtchen ein anderes Mädchen haben müssen.
Nun war freilich, bei der überirdischen Natur, gegen die er
seine leibliche vertauscht hatte, von einer Liebschaft mit
einem Erdenkinde nicht viel Erspriessliches zu hoffen. Doch
da zu Anbeginn der Welt auch die Engel sich herabgelassen
haben, mit den Töchtern der Menschen zärtliche
Verhältnisse einzugehen, musste sich das Schmachten
Heinrich Müller^ nach der Tochter der Frau Cordula
immerhin der Mühe verlohnen. Zufällig traf es sich, dass
auch Johann Gruber's geistige Natur einen Rückfall in
leibliche Gelüste erlitt", indem er einer alten Flamme
begegnete, die als Köchin im Hause seiner eigenen Herrschaft
gedient hatte. „Sie war seitdem freilich nicht jünger
geworden, blühte aber in derber Gesundheit. Da nun auch
er solchermaassen sich an die irdische Sphäre von neuem
gebunden fühlte, wie bekanntlich alle armen Seelen den
Ort umkreisen, wo sie bei Lebzeiten einen Schatz verscharrt
haben, konnte Johann Gruber so wenig wie Heinrich Müller
sich entschliessen, den spiritistischen Dienst zu kündigen",
der ihnen schon nach wenigen Wochen durch zu viel an
sie gestellte Fragen in den spiritistischen Vereinen der
Stadt ziemlich lästig geworden war. Aber sie hielten ein
Jahr aus, worauf die angeblich „wahrhaftige" Geschichte
sich entwickelte, die allen diesen spöttischen Voraussetzungen
zufolge eine Ironie auf den Spiritismus ist und sich mit
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