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v. Lougowskoy: Warnungsträume des Metropoliten Philaret. 475
geschiedenen mir erscheinen und mich um seinethalben
bitten ?" —
Und Philaret schrieb einige Worte zur Erinnerung auf
eine Schiefertafel, wie seine Gewohnheit war, schnell sich
drängende Gedanken festzuhalten. Darnach fiel Philaret in
einen tiefen Schlaf, und abermals stand vor ihm eine dritte,
erhabene Erscheinung, der Feldmarschall Kuttisow-Smolencky.
Der tapfere Besieger Napoleon^ I. stand vor Philaret alt,
gebrochen durch die tödtliche Krankheit, welche ihn ereilt
hatte während der Verfolgung des fliehenden grossen
Heerführers, — und auch er richtete bittende Worte an
ihn: — „Gehe nicht ins Gericht mit meinem Seelsorger
Iwan, sondern sei nachsichtig mit seiner Schwäche." —
Gerade wollte Philaret die Hand zum Segen über den
kranken Greis erheben, als die Erscheinung verschwand,
als wenn sie wegschmelze, und er erwachte. Der Morgen
graute schon, und Philaret erhob sich. Aufgeregt durch
diese drei aussergewöhnlichen Träume, kniete er vor dem
Betaltare nieder und flehte aus innerster Seele zum Herrn
um Erleuchtung. Als er sich dann zum Arbeiten niedersetzte
, war das erste Blatt, welches ihm unter die Hand
kam: — „lieber den unverbesserlichen Erzpriester Iwan,
bestraft durch Untersagung der heiligen Handlungen," —
Philaret rief aus: — „Da ist er! Das ist jener Pop' Iwan,
dessen Schicksal diese grossen Seelen beunruhigte und sie
veranlasste, vor mir Unwürdigem mit Bitten zu erscheinen.
Er ist aus der Armee und könnte diesen Männern bekannt
sein. Aber was bedeuten diese so verschiedenen Erscheinungen
? Was konnte den Geist dieser mir so theuren
Heimgegangenen so beunruhigen?" — Philaret sandte ins
Kloster zu dem unverbesserlichen Erzpriester, damit er an
demselben Tage zu einer gewissen Stunde zu ihm komme,
sprach aber mit Niemandem über seine geheimnissvollen
Gedanken. Mit strengem Blick und finsterer Stirne empfing
Philaret den schuldigen Erzpriester, einen hochgewachsenen,
kräftigen, hochbetagten Mann mit langem Barte, in welchem
der Schnee des Alters die Schwärze der Jugend noch nicht
ganz besiegt hatte. Er warf sich dem Metropoliten zu
Füssen, und mit Thränen in den Augen bat er: — „Ich
„weiss, warum Du mich gerufen hast. Gedenke nicht meiner
„Sünde! urd nimm die Kraft des Segens nicht von der
„Rechten, welche den Kaiser zum Kampfe segnete!" —
Die Thränen und Worte des Alten machten grossen
Eindruck auf Philaret, und seine Erregung niederkämpfend,
„sprach er: — „Stehe auf, Schwacher, und sage mir, wie
„verfloss Dein Leben, und von woher stammst Du?" —
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