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494 Psychische Studien. XXL Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1894.)
Stühlen der Universitäten aller Länder vorgetragen wurden,
so z. B. die Chiromantie noch gegen Ende des vorigen
und Anfang dieses Jahrhunderts auf den Hochschulen zu
Halle und Jena, und dass schliesslich mitten in unserer
aufgeklärten Zeit ihr Studium wieder aufgenommen
worden ist.
So wurde der berühmte Anatom Gall (f 1828) der
Begründer der Phrenologie, für deren Richtigkeit z.B.
auch der bekannte englische Physiologe Mayo eintritt. Er
sagt in seinem Buche „Wahrheiten im Volksaberglauben"
(Leipzig, 1854) S. 217: — „Jetzt aber zweifle ich nicht, dass
nicht allein die metaphysischen Speculationen Gatfs in der
Hauptsache richtig waren, sondern dass auch seine cranio-
logische Tafel zum grössten Theile richtig entworfen ist." —
Ganz kürzlich erst veröffentlichte der gewandte Journalist
und Herausgeber der „Review of Reviews", Mr. Stead, in
dieser am weitesten verbreiteten englischen Zeitschrift einen
höchst interessanten Artikel über „Phrenologie", in welchem
er, gestützt auf eigene Erfahrungen, für diese sonderbare
„Wissenschaft" furchtlos eintritt. — Die Physiognomie
haben von deutschen Gelehrten eingehend behandelt Lavater
(„Pbysiognomisehe Fragmente"), der Dresdener Geheimrath
Carus, f 1869 („Symbolik der menschlichen Gestalt") und
Andere, — Ja, nicht nur aus der Form des menschlichen
Antlitzes, wenn als ein Ganzes betrachtet, sucht man die
merkwürdigsten Schlüsse zu ziehen, auch die einzelnen
Theile desselben genügen dazu schon. In neuester Zeit
lehrt der ungarische Arzt Dr. Peczely in seinem Buche: —
„Entdeckungen auf dem Gebiete der Natur- und der Heilkunde
, 1881" —, dass aus der Beschaffenheit des Auges
der Charakter und besonders der Gesundheitszustand der
betreffenden Person herausgelesen werden könne, dass also
im allereigentlichsten Sinne des Wortes „das Auge der
Spiegel der Seele" sei. Diese seine Augendiagnose ist
schon von vielen Aerzten — auch in Deutschland — nachgeprüft
und als verlässig befunden worden. — Die
„Handlesekunde" (Chirognomie) hat in den Büchern
von Desbarolles (1879 und früher), Baughan (1889), Cotton
(1890), Gessmann (1890) ebenfalls ihre Auferstehung wieder
gefeiert und wird namentlich in den „höheren" Gesellschaftskreisen
Englands und Frankreichs sportsmässig betrieben*
Alexander Dumas, der Jüngere, hat sich sogar zu dem kühnen
Ausspruche verstiegen: — „Die Chiromantie wird einst die
Grammatik der menschlichen Organisation sein!" — Selbst
die „Wissenschaft" der Astrologie wurde noch anfangs
dieses Jahrhunderts in den 1816 und 1821 erschienenen
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