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Dr. Ullrich: Einige „geheime" Lehren der indischen Weisen. 495
diesbezüglichen Werken des Erlanger Mathematik-Professors
Pfaff ganz ernst genommen. In allerneuester Zeit hat sie
namentlich in England und Nordamerika, denjenigen Ländern,
wo die Theosophen oder Neubuddhisten ihre meisten Anhänger
zählen, gelehrige Jünger und eifrige Bearbeiter
gefunden und sich sogar auch in die deutsche Monatsschrift
„Sphinx" Bd. VI und VII mit einigen, sich auf unsere drei
ersten Kaiser beziehenden „Nativitäten" verirrt. — Dass
das Interesse an all diesen „dunklen" Gegenständen von
Tag zu Tag auch im grossen Publikum wächst, beweisen
die einschlägigen Artikel in den besten in- und ausländischen
belletristischen Zeitschriften, welche fast in jeder Nummer
etwas über derartige Dinge bringen. So hat „Schorens
Familienblatt" eine ständige Rubrik für „Graphologie",
und „Ueber Land und Meer" veröffentlichte einmal sogar
einen Aufsatz über „Chirognomie" (Heft 4, 1890).
Ob man nun in der Wiederaufnahme der genannten
Studien weiter nichts als ein Zurückfallen in den düsteren
Wahn des mittelalterlichen Aberglaubens zu sehen hat,
diese Frage ist hier nicht zu erörtern. Es sollte nur gezeigt
werden, dass, vom Standpunkte der indischen Philosophie
aus angesehen, die sogenannten „Geheimlehren" — d. h.
die in diesem Artikel hier besprochenen — logischer Begründung
nicht entbehren. Dahingegen müssen wir
ausdrücklich hervorheben, dass jedoch ihre allerersten
Voraussetzungen, d. h. die Präexistenz und die Seelenwanderung
, niemals experimentell als richtig nachgewiesen
werden können und darum auch für unsere
moderne Naturwissenschaft ganz undiscutirbar sind. Dies
zugegeben, bestehen die indischen Weisen doch hartnäckig
darauf, dass ihre Lehren immer wieder durch unabweisbare
Thatsachen seit grauer Vorzeit bestätigt wurden und noch
werden. Wenn nun auch das hohe Alter einer Lehre noch
lange kein hinreichender Beweis für ihre Richtigkeit ist, so
sollte man doch meinen, dass ein Jahrhunderte alter Glaube
einen realen Grund haben müsse; denn nach dem Sprichwort
haben „Lügen gar kurze Beine", und Betrug und Täuschung
setzen immer eine entsprechende Wahrheit voraus, wie die
Nachahmung eines Bildes dessen Original voraussetzt. Es
ist demnach wohl anzunehmen, dass die brahmanischen und
buddhistischea Priester und Mönche, falls man sie nicht
alle als abgefeimte Schwindler und Betrüger hinstellen will,
durch wirkliche Erfahrungen zum zähen Festhalten an ihrem
„Geheimwissen" veranlasst, und dass die Hindus zum blinden
Glauben daran geführt wurden.
Gewiss werden wir uns wohlweislich hüten, den allzu
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