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500 Psychische Studien. XXI. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1894.)
Resident, dass er seine Begnadigung für möglich halte, wenn
ich mich für ihn verwendete und darlegte, von welchen
Schurken er umgeben und verleitet worden wäre. Augenblicklich
fertigte ich einen 'Expressen1 mit einem dringlichen
Gnadengesuche ab. Bald nach meiner Ankunft in Shorapoor
hatte mich auch der alte Brahmanenpriester aufgesucht.
Dieser erinnerte Taylor an die aufregende Scene am
Krankenbette der Rani und wies auf das herannahende
Unheil, die Erfüllung der Weissagung, hin. 'Man kann
nicht wissen, was noch geschieht', — begann ich wieder,
— 'das Urtheil ist noch nicht gesprochen, und der Resident
wird seine Bemühungen mit den meinigen vereinen, das
Leben des Rajah zu retten/ —
„ ,Es ist vergeblich', — seufzte der Brahmane, kummervoll
das Haupt schüttelnd; — ,Ihre Absichten sind gut,
aber an seinem Schicksale vermögen sie nichts zu ändern.
Er wird sterben, — wie, das weiss ich nicht, aber er muss
sterben, — er kann nicht leben. Ausser Ihnen und mir
weiss Niemand um das Geheimniss, und ich bitte Sie, mir
den Urtheilsspruch, sobald er bekannt ist, mitzutheilen. Ich
kann nicht glauben, dass die Regierung sein Leben schonen
wird, sondern bin fest überzeugt, dass man ihn vor eine
Kanonenmündung bindet.'" —
Infolge der Fürsprache Taylors und des Residenten
wird auf dem Gnadenwege die Todesstrafe des Rajah in
lebenslängliche Verbannung umgewandelt. Sofort lässt
Taylor den Brahmanen kommen und sagt zu ihm (S. 398):
— „Vernehmt die gütige und gnädige Entschliessung des
Generalgouverneurs. Des Rajahs Leben ist gerettet, und
wenn er nur für vier kurze Jahre ruhig und standhaft
bleibt , wird ihm sein Staat zurückgegeben werden. Kann
man sich einen milderen Urtheilsspruch denken? Was
wird nun aus der Prophezeiung? Dieser Brief beweist, dass
Sie das Rechte nicht getroffen haben!" —
„'Ach! dass ich's glauben könnte1, — seufzte der
Brahmane, — 'und dass mein junger Gebieter wirklich
sicher wäre. Leider ist er auch jetzt noch in der grössten
Gefahr; nein, diese scheint sogar näher denn je; doch wir
werden ja sehen.*" —
Alle Vorbereitungen wurden, zum Empfange des jungen
Rajah getroffen. Da erhält Taylor vom Residenten eine
Depesche folgenden Inhalts: — „Der Rajah von Shorapoor
hat sich diesen Morgen, als er auf der ersten Station ankam,
erschossen. Sobald ich Näheres erfahre, theile ich es Ihnen
mit." — Taylor fuhr fort: — „Meine Fassung war natürlich
dahin, und der alte Brahmane, welcher mir eben über Ur-
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