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v. Lougowskoy: Wunderbarer Vorfall.
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Licht war ein ganz anderes* Jenes sehneidet das Auge,
aber dieses im Gegentheil berührte mich zärtlich. Das war
irgend ein nicht irdisches, sondern himmlisches Licht. Es
war plötzlich hell wie am Tage. Jedes vom Eise verhüllte
Zweiglein, jedes vom Herbste vergessene Blättchen, jede
kaum sichtbare Hasenspur, selbst das kleinste Schneeglöckchen
fiel sogar ins Auge. Die ganze Umgebung schien
silbern, und in diesem hellen Silberglanze, auf diesem
Wogen des Lichtes stand vor mir ein wunderbares
Weib in weissem, glänzendem Gewände und
weissem Schleier auf dem Haupte. Eine kräftige,
schmiegsame Erscheinung, mit schönem, liebegebietendem
Antlitz, mit wunderbarem, nicht irdischem Blicke. Ach,
wenn Sie je diesen Blick sehen könnten voll warmer,
rückhaltloser Mutterliebe, und dabei dennoch mit dieser
überirdischen Ruhe, mit dieser göttlichen Reinheit, mit
dieser himmlischen Grösse. Dieses wunderbare Weib hielt
in den Händen einen grossen Brodlaib.u — Hier hielt jetzt
Vater Nikolai an, strich mit seiner Hand über sein Haar
und fuhr dann fort: — „Ich erinnere mich nicht, Iwan
Petrowitsch, was in dem Momente mit mir geschah. Ich
war ganz wie erstarrt, als wenn ich aufgehört hätte zu sein.
Ich vergass Alles, wer ich sei, wohin ich fuhr, wo ich war,
und was mit mir geschah. Ich war so bezaubert durch
dieses unerwartete Schauen, dass ich ganz Blick ward, als
wenn ich hinüberträte in jenes wunderbare Reich des
Lichtes, in dem ich dieses wunderbare Weib sah. Mein
Pferd hatte schon lange aufgehört zu stampfen und stand
ruhig, sein Haupt hingewendet zu dieser Erscheinung. Ich
erinnere mich nicht, wie lange ich so stand. Ich blieb nur
in Erwartung, als dieses göttliche Weib mit unhörbarem
Schritte näher zu mir trat und mir das Brod übergab,
welches sie in Händen hielt. Im selben Moment entschwand
die Erscheinung. Das wunderbare Weib und das herrliche
Licht waren erloschen, und die Umgebung versank von
Neuem in tiefes Dunkel. Mein Pferd zog wieder an und
lief in leichtem Trabe, in meinen Händen nur blieb das
Brod. Es war ein ganz gewöhnliches Roggenbrod. Unter
dem Eindrucke des eben Geschehenen befand ich mich
einige Minuten in einem halbbewusstlosen Zustande. Plötzlich
fühlte ich es wie einen Stoss, mich nach der Seite zu wenden,
wo ich die Erscheinung bemerkt hatte. Doch einige
Minuten konnte ich dort nichts erkennen, die Dunkelheit
verhüllte mir alles. Dann aber gelang es mir, einige
Lichtfunken zu erkennen, die sehr schnell ihre Stelle
wechselten in der Dunkelheit, Diese Lichtfunken, wie ich
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