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532 Psychische Studien. XXI. Jahrg. 11. Heft. (November 1894,)
dann bemerkte, kamen mir näher. Da hörte ich, wie mein
Pferd anfing zu schnaufen und zu röcheln. Es schüttelte
verzweiflungsvoll mit dem Kopfe, kurz, gab alle Zeichen
der höchsten Angst. Da erst erwachte ich vollständig zur
Wirklichkeit und verstand, dass diese Lichtfunken nichts
anderes seien, als mir nachjagende Wölfe. Bei diesem
Gedanken trat mir der kalte Angstschweiss auf die Stirn,
und in einem Momente zog mir durch den Kopf die Erzählung
aller Unglücksfälle dieses Jahres, alle die Personen,
die schon das Opfer der Wölfe in diesem Winter geworden,
und die Angst überwältigte mich so, dass ich alle Kraft
des Nachdenkens verlor. Mein Fuchs, der die wüthenden
Thiere hinter sich merkte, ging so heftig durch, dass ich
mich kaum im Schlitten erhalten konnte, obwohl ich mich
mit beiden Händen an jeder Seite des Schlittens festhielt,
in der grössten Gefahr, bei der nächsten Unebenheit des
Weges hin ausgeschleudert zu werden. Ich weiss nicht, wie
lange wir in dem tollen Galopp weiter jagten. Mein armer
Fuchs dampfte, athmete schwer und ermattete sichtlich.
Unsere Verfolger dagegen, wie es schien, kannten keine
Ermüdung, und die Entfernung zwischen uns verminderte
sich merklich. Ich fürchtete, an den Moment zu denken,
wo die Wölfe mich erreichen würden. Mit aller Anstrengung
schaute ich vorauf, in der Hoffnung, irgend ein Fuhrwerk
zu bemerken, oder doch bald den Rand des Waldes zu
sehen; denn gleich hinter ihm lag das Dorf. Aber der
Wald schien kein Ende zu haben, und von mir Entgegenfahrenden
war kein Zeichen. Ich war dem schrecklichsten
Tode verfallen. Die Wölfe näherten sich schnell, so schnell,
dass ich schon ihre blutunterlaufenen Augen, ihre fletschenden
Zähne sah, ja schon ihren heissen Athem fühlte. Noch eine
Minute, und einer von ihnen (es waren ihrer wohl zehn)
springt auf meinen Schlitten, oder mein Pferd, und ich bin
verloren. Ich war nahe daran, das ßewusstsein zu verlieren.
Aber in diesem kritischen Momente kam mir ein glücklicher
Gedanke. Dieser Gedanke war mir sicher von Oben eingegeben,
und ich setzte ihn sogleich in That um. Ich nahm das vor
mir liegende Brod und schleuderte es mit aller Kraft,
soweit ich konnte, nach der Seite, von wo die wüthenden
Wölfe mich verfolgten. Die Wölfe stürzten sich, wie alle
blutdürstigen Raubthiere, mit Gier auf das Brod, und ich
sah, wie sich zwischen ihnen ein heftiger Kampf entfachte.
In diesem Augenblicke peitschte ich meinen Fuchs. Er
nahm seine letzte Kraft zusammen, und in einigen langen
Sprüngen trug er mich aus dem Walde. Mit einiger
Beruhigung im Herzen bemerkte ich dann die ersten
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