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Wolf: Eine Lücke in der mediciuischen Wissenschaft. 593
und quälte ihn ausserordentlich: — „Tch konnte ihn dann
auch durch meinen Geruch wahrnehmen, er hatte mich mit
seinem Dunstkreis förmlich umgeben." — „Einen Gestank
hinterlassen die Gespenster nie." — Sehr mannigfaltig sind
die Gefühlshallucinationen, die doch fast nie allein auftreten.
„Eines Abends beschäftigte ich mich in Gedanken mit einem
meiner Arbeiter, im selben Augenblicke spürte ich einen
Fusstritt in der linken Seite." — „Er hatte das Gefühl,
als ob Fleisch von seinen Wangen losgefallen wäre/4 —
Oefters wird dem Patienten der Körpertheil vorher genannt,
an welchem bald darauf „hallucinatorische'% Gefühle eintreten.
Er hat das Gefühl, als ob ein Gespenst die Thätigkeit
seiner Gedanken leite.
Der Kranke ist sich vollständig darüber klar, dass
diese und andere Erscheinungen, welche wir nicht alle
erwähnen wollen, da das wenige Mitgetheilte schon zur
Charakterisirung genügt, auf Einbildungskrankheit beruhen.
Er sagt darüber: — „Die Stimmen sind jetzt meist in
meinem Kopfe. Ich bin meist überzeugt, dass es nur
Sinnestäuschungen meines kranken Hirns sind. Wenn aber
die Erscheinungen zu heftig werden, dann bin ich über
ihre Natur nicht mehr klar." — Da die Stimmen ihn früher
oft in seiner Geschäftsthätigkeit beeinflussen wollten, so
musste er sich diese obige Erkenntniss immer wieder ins
Gedächtniss zurückrufen. „Sobald ich aber nur ein bischen
Anhalt habe, dass es Krankheit ist, dass es in meinem
Kopfe entsteht, bin ich beruhigt, dann macht's nichts." —
Er lässt sich daher bei jeder Visite vom Arzt aufs neue
versichern, dass seine Sinnestäuschungen krankhafter Natur
sind, dass seine angeblichen E'einde ihm nichts anhaben
können.
Und nun die Prognose. Herr Dr. Hanel schreibt: —
Der Zustand hat zu jetziger Zeit „schon jahrelang bestanden
, und ist eine Heilung nicht zu erwarten, da die
Hörfähigkeit des Patienten beiderseits hochgradig herabgesetzt
ist, ausserdem unter Einwirkung der Hallucinationen
schon ganz ausgesprochene Wahnideen sich gebildet haben."
So spricht die Wissenschaft. Wir sehen einen ungemein
complicirten Fall vor uns. Wenn Referent als Laie sich
noch einige Bemerkungen dazu erlaubt, so glaubt er sich
dazu berechtigt durch die Thatsache, dass auch die Männer
der medicinischen Wissenschaft mehr oder minder Laien
sind auf einem Gebiete, in welches dieser Krankheitsfall
hinüberzureichen scheint
Die Krankheit des obenerwähnten Patienten macht in
vielen Punkten den Eindruck des „Bewusstseins". Aus-
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