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18 Psychische Studien. XXII. Jahrg. 1. Heft (Januar 1895.)
lebendig und unerschütterlich; hier aber kommt ihm eine
glühende Sinnlichkeit entgegen, der er volle und endlose
Sättigung verheisst. Darum bildet der Glaube an die
leibliche Auferstehung Christi den Grundstein des
christlichen Lehrgebäudes, und ohne diesen Glauben würde
das Neue Testament kaum mehr werth sein, als Cicero's
Buch über die Pflichten, oder die Platonischen Dialoge.
Im 15. Kapitel des i. Korinther-Briefes Vers 16 ff. sagt
Paulus: — 'Wenn die Todten nicht auferstehen, so ist
Christus auch nicht auferstanden; ist Christus aber nicht
auferstanden, so ist euer Glaube eitel, so seid ihr noch in
euren Sünden, so sind auch die, so in Christo entschlafen
sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf
Christum, so sind wir elender als alle anderen Menschen.'
— Der Durchschnittschrist vertauscht die ersten zwei
Glieder dieser Schlusskette und spricht: — .Ist Christus
nicht auferstanden, so habe ich auch keine Gewähr für
meine eigene Auferstehung; giebt es aber kein Jenseits, so
bin ich, der ich um einer eitlen Hoffnung willen auf so
manchen irdischer Genuss verzichte, ein Narr und elender
als die übrigen Menschen/ — Nur der Glaube an die
persönliche Unsterblichkeit macht jenen Begriff
der Persönlichkeit möglich, auf dem die Moralsysteme
Kanfs und Fichte's beruhen. Was Alles in der "Welt sollte
uns denn abhalten, einen Menschen von schwachem Geiste
und niedriger Gesinnung, der nichts als thierisches Behagen
erstrebt, rein als Werkzeug zu behandeln, wenn wir nicht
glauben, dass der Keim einer ewigen Persönlichkeit in ihm
stecke? Denn vorläufig ist er gar keine Persönlichkeit. Den
Philosophen, die den Glauben an die persönliche Fortdauer
preisgeben,*) die darauf gebaute Moral aber retten wollen,
nutzen alle ihre Kunststücke nichts; niemals wird man eine
aus dem Schoosse des Unbewussten aufgetauchte, nach
einer kurzen Zeitspanne zerplatzende Seifenblase, ein Ding
ohne alle Substanzialität, für eine Persönlichkeit halten,
niemals auch im Ernste Pflichten anerkennen, wenn kein
persönlicher Gott da ist, der sie auferlegt. Ein guter
Mensch, der nicht an Gott glaubt, handelt gut und edel,
weil und soweit ihn sein Herz dazu treibt, aber eine
Verpflichtung dazu braucht er nicht anzuerkennen. So hat
auch Leibniz die Sache angesehen. 'Si Deus non esset,
sapientes (von den Unreifen, von grossen Haufen spricht er
*) Vergl. Professor WundV% Lehren hierüber in dem Artikel: —
„Zur Psychophysik u. s. w.t§ - in „Psych. Stud." Jahrg. 1892 S. 211,
263 ff. — Der Sekr. d„ Red.
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