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Wittig: Warum wenden sich unsere Gegner gegen den Spiritismus? 19
gar nicht erst!) ad caritatem non ultra obligarentur, quam
ex usu suo esset, neque ad honestatem, nisi suae perfectionis
causa, cujus in hac vitae brevitate, si anima immortalis
non esset, ratio satis haberi non posset.' [D. h. Wenn Gott
nicht wäre, so würden die Verstandesmenschen nicht weiter
zur Nächstenliebe sich verpflichtet fühlen, als es ihr üblicher
Gebrauch wäre, und auch nicht weiter zur Ehrbarkeit, als
um ihrer Vervollkommnung willen, zu denen bei dieses
Lebens Kürze, wenn die Seele nicht unsterblich wäre, ein
genügender Grund nicht vorliegen könnte. — Der Sekr.
d. Red.] Siehe ,Mittheilungen aus Leibnizens ungedruckten
Schriften/ Von Dr. jur. G. Mollat 2. Aufl. (Kassel, Friedrich
Scheel, 1887.) — Erst durch diesen Glauben an's Jenseits
erhalten die übrigen Grundlehren des Christenthums Werth
für's sittliche und bremüthsleben. An und für sich befriedigen
jene Erklärungen des Welträthsels, die der Katechismus
enthält, die Vernunft und das Herz so wenig, wie irgend
eine alte Mythologie oder Philosophie. Haben wir aber den
Glauben an die persönliche Unsterblichkeit gewonnen und
zugleich den Glauben, dass der Gott, den wir im Jenseits
finden sollen, weder ein kinderfressender Moloch, noch ein
blindes Verhängniss, noch die Naturnothwendigkeit sei,
sondern ein Wesen, das nach Christi Worten am besten
unter dem Bilde eines gütigen Vaters vorgestellt wird, so
vertrösten wir unser Verlangen nach der Lösung des
Lebensräthsels zuversichtlich aufs Jenseits. Die Bibel- und
Katechismus-Lehren darüber haben dann uur die Bedeutung
solcher vorläufigen Erklärungen, wie wir sie den Kindern zu
geben pflegen, wenn diese uns über Dinge fragen, die ihnen auf
ihrer gegenwärtigen Erkenntniszstufe noch nicht begreiflich
gemacht werden können. Die Dogmen vom Teufel und vom
Sündenfall, von der Erbsünde und der Erlösung bedeuten
dann blos, dass Gott weder das Böse, noch die Unseligkeit
des Menschen will, sondern dessen ewige Seligkeit, und dass
uns Christus dazu verhilft Das sind Andeutungen des
Zusammenhangs; den Zusammenhang zu durchschauen, ist
hienieden Keinem vergönnt. So flösst uns der christliche
Glaube auch das Vertrauen ein, dass unser guter Wille nicht
vergebens sei, aber das Geheimniss von Freiheit und
Nothwendigkeit wird uns dadurch nicht entschleiert. In
diesem Vertrauen auf die Vernünftigkeit und Güte der
Gottheit, die sich uns erst im Jenseits offenbaren will,
besteht die moralische Wirksamkeit des Christenthums;
denn dieses Vertrauen allein vermag die zagende Seele von
pessimistischer Verzweiflung wie vor frechem Hedonismus
(Sinnengenuss) zu bewahren. Es ist lächerlich, wenn sich
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