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Prof. Maier: Was können wir Uber ein zukünftiges Leben wissen? 21
des Schattens." — In dieser Betrachtung steckt auch das
ganze Wesen und der Kern des modernen Spiritismus.
Selbstverständlich meint der Herr Verfasser mit letzterer
Warnung nicht so sehr den fanatischen Spiritismus gewisser
Spiritisten, die sich vom Wege exacter Forschung entfernen,
als vielmehr den Fanatismus kirchlicher Gläubigen, die sich,
wie zu Luther^ Zeiten, ihr Geld und Vermögen für die
armen Seelen im Fegefeuer und für die Rettung ihrer eigenen
Seele durch Ablässe abwuchern Hessen, wodurch die Reformation
und die Spaltung der Kirche entstanden ist.
Was können wir Ober ein zukünftiges Leben wissen?
Ein Beitrag zur Seelenfrage (nebst Anhang)
von Dr. Friedrich Mai er, Prof. a. D., Tübingen *)
I.
Die Frage, ob es eine Fortdauer der menschlichen
Seele giebt, und wie wir etwa ein zukünftiges Leben
derselben uns vorzustellen haben, ist uralt; seit Jahrtausenden
haben „arme, schwitzende Menschenhäupter"
nach Heine („Fragen", unter den Nordseeliedern) vergeblich
über dieselbe nachgegrübelt, und neuerdings ist sie durch
die spiritistische Bewegung von neuem in Fluss gekommen.
Der Versuch, die von den Spiritisten behaupteten und in
der Hauptsache wohlbezeugten Thatsachen, welche auf die
bis dahin wissenschaftlich nicht konstatirten Spuren eines
fortlebenden Geistes hinzuweisen schienen, zu erklären,
hat von Seiten der spiritualistischen Philosophie eine ganze
Fluth neuer Theorien hervorgerufen, und es ist gewiss mit
Freuden zu begrüssen, dass nun endlich auch hervorragende
Vertreter der exacten Naturwissenschaft ernstlich daran
gehen, jene Thatsachen auf dem Wege methodischer,
experimenteller Untersuchung festzustellen, um sie in das
Gefüge der bisher bekannten Naturgesetze einzuordnen.
Während bornirte Nachbeter anerkannter wissenschaftlicher
Autoritäten, die sich jedoch bisher die Mühe nicht nehmen
wollten, eine zunächst nur zweifelhafte Ergebnisse versprechende
, von der Tagesmeinung verpönte Frage selbst
zu studiren immer noch von der gänzlichen „Unmöglichkeit
der mit der Newtorisehen Weltanschauung absolut
unvereinbaren Geisterhypothese" sprechen, mehrt sich
*) Wegen Stoffandrangs konnte diese schon im vorigen Jahr
eingesandte Arbeit bisher nicht zum Abdruck gelangen. — Die Red.
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