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Prof. Maier: Was können wir über ein zukünftiges Leben wissen? 25
mit der thatsächlichen kausalen Bestimmtheit aller menschlichen
Handlungen zu vereinigen und unser Gefühl der Verantwortlichkeit
für dieselben im Sinne des indischen „Karma"
zu erklären, und der sich im Leben als Talent und
Charakteranlage offenbart, mit den vererbten und anerzogenen
Eigenschaften jedoch nicht verwechselt werden darf,
nichts anderes als das „Erfahrungs- und Anpassungskapital,
das sich aus der Arbeit, dem Kampfe und den Leiden
des Individuums als Frucht der Individualität heraus- *
krystallisirt hat."
Nach Hellenbach laufen unsere Lustempfindungen
(Lust — Wille zum Leben) der „lebendigen Kraft", unsere
Unlustempfmdun^en der ,,!3pannkraft" parallel Die Leiden
des Individuums hätten demnach die natürliche Bestimmung,
zum Zweck seiner Entwicklung und Erziehung „moralische
Spannkraft" zu erzeugen, so dass es sich, wie Heilenbach
weiter ausführt, begreifen Hesse, wenn ein mit magnetischer
Heilkraft und prophetischer Fernsicht begabter „Seher", wie
Christus, das ,,Himmelreieh" den Reichen", d. i. in selbstsüchtigem
Genuss gesättigten, unzugänglich glaubt und sein
eminent socialistisch gefärbtes Armenevangelium dem
reichen Jüngling gegenüber, der ihn fragt, was er thun
müsse, um selig zu werden, in den Rath zusammenfasse all
seine Habe zu verkaufen und den Erlös als Gemeingut den
Armen zu geben. Erschwerter „Kampf ums Dasein" und
allmähliche A n p a s s u n g an besonders widrige Umgebungsverhältnisse
müssten darnach eine stets vollkommenere
Organisationskraft für die wiederkehrende Seele zur Folge
haben, da die Keimesgeschichte — eben weil das „Anpassungsresultat
" nach den Gesetzen der allgemeinen
Naturökonomie sowenig wie die rohen Naturkräfte selbst
verloren gehen kann — nur eine sehr schnelle, unbewusste
Wiederholung der langsameren Stammesgeschichte ist, wie
dies für die Biologie Haeckel überzeugend nachgewiesen hat.
Eine treffliche Ergänzung hierzu bietet der Herausgeber
der Zeitschrift „Sphinx", Dr. Hübbe-Schleiden, in seinem
schönen Buche: — „Das Dasein als Lust, Leid und Liebe"
(Braunschweig 1891), indem er zeigt, dass alles Leid
thatsächlich nur in der Schwierigkeit der Anpassung an
objectiv gegebene Verhältnisse besteht, die vom Individuum
zu überwinden sind, damit die Individualität ihr transscen-
dentales Ziel im Kreislaufe des Alls erreicht, wobei eben
das Leid sie in ihrer Bahn erhält, während die egoistisch
centrifugale Lust sich ins Unendliche verlieren würde, wenn
nicht das centripetale Streben der Liebe, die sie zur Ver-
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