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84 Psychische Studien. XXII. Jahrg. 2. Heft. (Febiuar 1895.)
durch gute und ehrliche Zeugen beglaubigten Thatsache,
auch auf dem Gebiete der Geschichte und der persönlichen
Lebenserfahrungen, als höchstes Ziel echt wissenschaftlicher
Forschung erscheinen lässt.
Noch jüngst hat der gegenwärtig bedeutendste Vertreter
methodisch exacter Philosophie in Deutschland, Wilhelm Wunät
in Leipzig, in einer (in seinen Philosophischen Studien'1
erschienenen von Ludwig Bernhard in der „Sphinx" bereits
kritisch beleuchteten) Abhandlung über „Hypnotismus und
Suggestion", deren Spitze sich gegen den Occultismus und
Spiritismus richtet, auf welchem Gebiet er, wie er selbst
zugesteht, keine auf eigener Beobachtung beruhenden, ein
selbstständiges Urtheil ermöglichenden Erfahrungen besitzt,
die Behauptung aufgestellt, dass — auch angenommen, mit
allem „magischen Unsinn" der Occultisten habe es seine
Richtigkeit, — ein unbefangener Naturforscher oder
Psychologe, dem die Wahl freistehe, jedenfalls der grossen
und erhabenen Welt der ewigen, in einer vernunftvollen
Ordnung bestehenden Gesetze eines Copernims, Galilei und
Nervton, eines Leibnitz und Kant gegenüber dieser kleinen
und unvernünftigen Welt der hysterischen Medien, der
Huzelmännchen, Hexen und lügenhaften „Klopfgeister"
unbedingt den Vorzug geben müsste.
Allein die Frage, ob das Resultat irgend eines wissenschaftlichen
Studiums uns gefällt und unser ästhetisches
Gefühl befriedigt, kommt offenbar gar nicht in Betracht,
sondern lediglich die ursprüngliche und wichtigste, ob, was
untersucht wird und den Gegenstand der betreffenden
Streitfrage bildet, wahr ist oder nicht. Erst wenn dies
durch kritische Sichtung eines reichlichen Bcobachtungs-
materials festgestellt ist, erhebt sich für den Forscher die
weitere Aufgabe, die etwa neugewonnenen Resultate mit
den bisher konstatirten Wirkungen schon bekannter, Naturgesetze
und weiterhin allerdings auch mit den ethischen
Bedürfnissen des menschlichen Herzens in Einklang zu
bringen und sie aus ihren Ursachen zu erklären. Wenn
sich die Geistesheroen aller Länder auf sämmtlichen Gebieten
menschlichen "\\ issens und Seelenlebens in diesem
Sinne die Band reichen, dann wird uns die gesuchte und
gemeinsam ferorschte Wahrheit frei machen auch von den
durch Wundt berührten Skrupeln, und eben von diesem
Gesichtspunkt aus hat uns das besprochene Büchlein des
französischen Wahrheitsfreundes eine aufrichtige Freude
bereitet.
(Der „Anhang" folgt nach.)
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