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Kurze Notizen.
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giebt so göttliche Gedanken, dass wir sie dem Menschen
nicht zutrauen können, sondern daraus auf eine Offenbarung
Gottes schliessen; jener finstere Gedanke aber zeugt von
einer Offenbarung des Teufels. Wir sterben nicht ganz;
aber — unsere Individualität! wie steht es mit der? Als
ich mit Ihnen nach Waiblingen an einem Teiche vorüber
fuhr und darin einen Springbrunnen sah, dachte ich mir:
— das ist vielleicht das beste Bild des Menschenlebens.
Aus dem Meere der Gottheit steigt die Seele auf und fällt
wieder darin zurück. Der Gedanke ist so traurig nicht.
Sogar etwas Heroisches liegt in dem ruhigen, gefassten
Gedanken des Unterganges der Individualität, wenigstens für
mich." . , . (Es folgen unheimliche Betrachtungen über sich
selbst, die er mit den Worten beschliesst: —) „Doch in
welches Dickicht finsteren Dorngesträuchs führe ich Sie aus
dem freundlichen Kreise Ihrer frohblüheuden Kinder, Ihres
lieben Mannes! Zerreissen Sie meinen Brief auf der Stelle,
wenn er Sie im mindesten verletzt. Ich will ihn heute nicht
weiter schreiben. Wozu das schwarzgallige Gewäsch einer
heiteren, guten, glücklichen Frau? Verzeihung!!!" . . . Das
folgende Weihnachtsfest feierte Lenau mit den Stuttgarter
Freunden als Gast des SchwaVschen Hauses. Dieser Brief
etwa dürfte nur wiederholt bestätigen, was wir vor Jahren
über Nicolaus Lenau in „Psych. Stud." Oktober-Heft 1886
S. 473 ft. bereits erörtert haben.
b) Eines älteren Dichters Gedanken über Tod
und Grab hinaus. — Im Anschlüsse an Lenau's vorher
mitgetheilte Briefäusserungen über den Tod seiner Mutter
und deren individuelle Fortexistenz dürfen wir an dieser
Stelle wohl passend und wiederholt*) an des schlesischen
Dichters Johann Christian Günther (vor jetzt genau
200 Jahren geb. zu Striegau am 8. April 1695, gest. zu
Jena 15. März 1723) Nachruf an seine geliebte Mutter
in seiner bis jetzt von allen seinen Biographen noch für
unecht gehaltenen — „Curieusen und merckwürdigen
Lebens- und Reise-Beschreibung". (Schweidnitz und Leipzig,
Verlegt's Johann George Böhm, Buchhändler, 1732) — erinnern,
welche Schreiber dieses, der Sekretär der Redaction, in
seinem 1881 erschienenen Werke: — ,,Neue Entdeckungen
zur Biographie des schlesischen Dichters Joh. Chr. Günther"
(Striegau, August Hoff mann) — 6 Mk., gegenüber Günther's
*) Vergl. „Psych. Stud." März-Heft 1895 S. 138 ff. nebst bereits
diesem Hefte beigelegt gewesenen grünem Prospectus über meine
„Jubiläumsschrift zu Günther** 200 jährigem Geburtstag (am 8. Aprü
1895)." —
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