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Kurze Notizen
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Neid, triumphire nur, du hast es weit gebracht
Und aus dem Vater mir den ärgsten Feind gemacht!
Ist dieses wohl erhört? Doch ich will lieber schweigen,
390. Als etwan durch ein Wort den Ungehorsam zeigen;
Der Vater scheinet hart, doch hat er keine Schuld,
Die Missgunst*) bringet ihn allein zur Ungeduld.
G^nug: Ich will mich nun von deinen Grenzen machen,
Mein Striegau, dessen Ruhm durch mich, als einen schwachen
395. Und ungeübten Geist, ein schlechtes Lob erhält,
Da man mich noch zur Zahl verworfner Söhne stellt. —
Nun sollte Kiel und Hand der Mutter Zinse reichen:**)
Allein, was seh ich dort? Den Abüss einer Leichen?
Ein schlotterndes Geripp, ein gilbicht Todtenbein?
400. Kann dieses wohl ein Bild von meiner Mutter sein?
Ja, leider! allzu wahr. Geliebte Mutter-Seele,
Dein Leib ruht ungestört in kühler Todten-Höhle
Und weiss nicht mehr, was Neid und Gram und Kummer ist,
Da der entwicbne Geist der schönsten Lust geniesst.
405. Hier schwebt dein Christian auf ungestümen Wogen,
Den du dem Neid allein zum Zweckschuss***) auferzogen;
Ach! wie vermisst er dich, getreues Mutterherz,
Es reicht kein Leibesschmerz an meinen Seeiensehmerz.
Wie öfters hat dein Mund, dein weiser Mund verwehret,
410. Dass mir des Vaters Fluch den Glücksbau nicht versehret,
Wenn Missgunst Oel und Fett ins Eiferfeuer goss,
Wenn ihn ein Jugendfehl und Schwachheitsfall verdross.
Diess Merkmal deiner Gunst und andre Muttersorgen,
So du vom Abend an bis in den frühen Morgen,
415. Den ganzen Tag hindurch, zu meinem Wohl geweiht,
Verdienen reichen Dank in jener Ewigkeit.
Wohl dir! Du tragest schon die Sternenreiche Krone
Und forderst weiter nichts von deinem armen Sohne,
Als dass er deiner Treu ein Denkaltar erricmV
420. Und grabe dieses diein: Mein Kind, vergiss mein nicht!
Wer will wohl so entmenscht und ohn' Empfindung bleiben
Und dieses ohne Weh und sonder Thränen schreiben?
Wenn diese Schrift verschiesst und bleich und gelbe scheint,
So wisst, dass Günther hier die Mutter noch beweint.
425. Denn dieses Thränensalz ist mir noch übrig blieben,
Das andre hat der Neid durch seinen Sturm vertrieben;
Das streu ich auf dein Grab und deinen Gliederrest.
So feir* ich Tag für Tag dein traurig Todtenfest. —
*) Wessen Missgunst dies hauptsächlich gewesen ist, hat der
Verfasse der „Neuen Entdeckungen zur Biographie Günther* su (Striegau,
1881) zum ersten Male, 158 Jahre nach des Dichters Tode, seinen
schlesisehen Landsleuten und jetzt wi derholt an der Hand von „Urkunden
und Belagen" erörtert. -
**) Bedeutet hier: der Mutttr den schuldigen Hauszins bezahlen,
im iibertrager.cn Sinne: ihr den gebührenden Ehrentribut zollen. —
***) Bei den früheren Bürgerschützenfesten war der Mittelpunkt
der Scheibe, nach welcher geschossen wurde, durch einen breiten Nagel,
schlesisch eine „Zwecke" genannt, markirt, daher das Wort „Zweck-
schuss", ebenfalls hier in zweckentsprechend doppelsinniger Bedeutung
angewendet. —
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