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272 Psychische Studien. XXII. Jahrg. 6. Heft. (Juui 1895.)
geschah." — Er wurde von der Directorin entlassen.
Gh. . . .'s Wohnung war im dritten — einem ebenerdigen
Hause — neben der Anstalt.
Als Gh. auf die Strasse kam, sah er vor seinem Hause
viele Mensehen stehen; bei den Leuten angelangt, theilte
man ihm mit, dass ein Knabe vom Gange des zweistöckigen
Nachbarhauses aus einen zwölfjährigen Knaben im Hofe
dieses Hauses mittelst eines Floberthgewehrs erschossen
habe. Gh. bahnte sich den Weg durch die Menschen, um
in den Hof zu gelangen, da sah er den Knaben einer
Bewohnerin des Hauses im Hofe todt liegen. Für meinen
Collegen zum Glück war weder der Mörder, noch der
Ermordete sein Sohn. Scherzweise zielte ein Knabe aus
dem Nachbarhofe auf den im Hofe spielenden Knaben und
schoss ihn mitten durchs Herz. Ein trauriger Zufall!
2) Meine Frau war in der Anstalt Lehrerin, Die
Mädchen hatten die Pflicht, um ^10 Uhr Abends die
Schlüssel zu dem Schlafzimmer von meiner Frau zu verlangen
. Die Candidatin Bor Jolan des vierten Jahrganges
tritt in das Zimmer meiner Frau und bittet um die Schlüssel
Plötzlich stiess sie einen heftigen Schrei aus: — „Ach
Gott! mein Vater stirbt!" — und brach ohnmächtig zusammen
. Das Mädchen wurde gelabt und zur Ruhe gebracht,
und als sie wieder zum Bewusstsein kam, sagte sie zu meiner
Frau4 — „Mein Vater war nicht krank, und doch habe ich
ihn sterben sehen!" — Am selben Tage zwei Standen später
kam ein Telegramm an die Directorin mit der Bitte, man
möge der Candidatin mit Schonung mittheilen, dass Ihr
Vater plötzlich (vom Schlage getroffen) starb.
3) Beiläufig hundert Candidatinnen der Anstalt waren
gegen 9 Uhr Abends im Speisezimmer, wo sie untereinander
plauderten. Die Candidatin Upzivi fing an plötzlich laut
zu lachen. Ihre Umgebung fragt nach der Ursache ihres
Lachens, worauf die Upzivi folgendes erzählt: — „Ueber dem
Speisezimmer im ersten Stock ist das Schlafzimmer der
Directorin, bei der ein kleines Mädchen von sechs Jahren
schlief. Nachdem die Kleine gebetet hatte, musste sie die
kleine Nothdurft verrichten, bei welcher Gelegenheit sie den
Nachttopf umschüttete und ihr vom Leibe das Hemdchen
herabfiel. Dies sah die Upzivi im Speisezimmer, worüber
sie so herzlich lachen musste. —
Meine Frau war zu dieser Zeit im Zimmer der Directorin
und war Zeuge dieser komischen Scene; von dort ging sie
ins Speisezimmer der Mädchen, wo ihr das Lachen der
Upzivi mitgetheilt wurde. Meine Frau musste die Behauptung
der Upzivi von Wort zu Wort bestätigen, was in der Anstalt
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