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Wolf: Martinus Saent-Ivany, S. J., etc.
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cigenschaft von dem Aussehen des Körpers und seiner
Theile auseinandergesetzt. Am Schlüsse jedoch wird ausdrücklich
hervorgehoben, dass diese Zeichen nicht untrüglich
sind; auch beziehen dieselben sich nicht auf die von der
Willensfreiheit abhängigen Gebiete des menschlichen
Handelns. Vielmehr bezeichnen sie nur Neigungen und
Charakter, nicht die Thaten des handelnden Menschen. Nur,
wenn alle Zeichen für eine bestimmte Eigenschaft zusammentreffen
, ist man zu einem Urtheile berechtigt. Erwähnt wird
auch ein Werk des P. Honoratus Niquetius, in weichem dies
alles gründlich und ausführlich behandelt wird.*)
Es ist schwer glaublich, dass einem Manne, der
Physiognomik und Chiromantie anerkennt, der Widerspruch
nicht aufgefallen sei, in welchen ihn die Phrase von der
Willensfreiheit vorwickelt. Und gerade das Hervorheben
der letzteren an mehreren Stellen der Abhandlung scheint
mir zu beweisen, wie wenig S.-J. selbst an die Vernünftigkeit
dieses Dogmas glaubte. Nach meiner bescheidenen
Ansicht ist diese philosophische Frage in Schopenhauer*$
Abhandlung über die Willensfreiheit (/tec/Wsche Ausgabe
t3clt JL11 • ',"t"1" ,"1 yj eher die Grundprobleme der Ethik") vollkommen
entschieden. Eine Versöhnung scheint mir die
moderne Theosophie mit der Karmalehre anbahnen zu
wollen. Wie es aber eine Seele, welche auf Grund ihres
früher „erworbenen" Karmas die Misere des
Daseins wieder erlebt, fertig bringt, sich dabei ein neues
Kalma zu erwerben, da3 ist mir bisher unverständlich geblieben.
Gestatten Sie mir, verehrte Leser, hier einen Beitrag,
betreffend die Gefahren der Karma-Lehre, einzuschalten.
Bisher war man der Ansicht, dass es unmoralisch und
rücksichtslos sei, im Zustande vererblicher Krankheit Kinder
zu zeugen. Nach der Karma-Lehre aber erwirbt sich der
Schwindsüchtige, der die Geisteskranke heirathet, der
Trunkenbold, der sich mit der Dirne verbindet, sogar ein
gewisses Verdienst, indem er einigen bussebedürftigen
Lumpenseeien Gelegenheit giebt, ihre alte Schuld abzuzahlen
. Da ist mir die materialistische Forderung der
Zuchthausstrafe für diese Sünde an den Ungeborenen doch
sympathischer. „Unsere Macht über die Ungeborenen ist
der Gottes gleich, und unsere Verantwortlichkeit gleich der
seinen gegen uns." {Bellamy, „Rückblick". Beel. S. 219).
Die körperliche Beschaffenheit eines Menschen lässt einen
Schluss auf sein Temperament zu. Die vier Temperamente
*) Ist das Werk vielleicht einem meiner geehrten Leser bekannt?
- D. Ref. —
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