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316 Psychische Studien. XXII. Jahrg. 7. lieft (Juli 1895.)
Diensten waren. Einer von diesen nun hat in seiner
Eigenschaft als Beamter die Leute vernommen, welche den
Auszug des Lindenschmidt gehört haben wollen; und der
Herr Major hatte die Liebenswürdigkeit, mir die alten
Akten vorzulegen und zu gestatten, dass ich sie kopirte.
Da es sich um seltene Belege handelt, deren Echtheit ausser
Zweifel steht, möchte ich sie hier veröffentlichen.
Die Aufzeichnungen beginnen mit folgendem
Promemoria.
Die hiesige Lindenfelser Gegend wiederholt dermalen
die Gespräche von einem sogenannten Landgeiste, oder dem
Anführer einer vergeisterten Kriegsschaar, welcher auch der
Lindenschmidt genannt wird. Dieser Geist macht einen
(öffentlichen?) Heereszug aus dem Schlosse Selmellert in
das Schloss Rodenstein, und wenn dies geschehen ist, glaubt
eledermann, dass die Victualien und Fourage theuer werden,
und demnächst ein fremdes Kriegsheer in die Gegend des
Rhein- und Mainstromes zu stehen komme.
Sobald dieser Geist aber seinen Zug zurück in den
Sehnellert nimmt, so wird dafür gehalten, dass es wehlfeile
Zeiten giebt und keine nahe Kriegsgefahr zu befürchten sei.
Dieses wird aus der Ursache geglaubt, weil alle Männer
erzählen, dass sie es von ihren Eltern und Voreltern also
gehört und durch eigene Erfahrung richtig befunden hatten.
Nach der gemeinen Beschreibung wird selten etwas von
dem Heereszuge gesehen. Die stärksten Merkmale seien
ein Getöse und Lärmen, desgleichen bei Truppenmärschen
entsteht, und zwar jedesmal in dem Fahrwege, welcher aus
dem einen Schlosse in das andere führt. Sonderheitlich
werde aber in dem Zuge gehört das Brausen, Schnauben
und der Trapp von Pferden, und das Klappern derer Hufeisen
, die Schläge und das Knarren der Wagen, die Schafe
mit dem Klang der Schafsschelle, das Hornvieh und das
Bellen von deren Hunden.*)
Der vergeisterte Lindenschmidi selbst ist den Erzählungen
gemäss schon mehrere Male gesehen worden und wird beschrieben
, dass er grün gekleidet sei und einen Apfelschimmel
reite.**)
*) Der Herr Major bemerkte sehr zutreffend, dass hier offenbar
Erinnerungen an die alte deutsche Wattdersage mit unterlaufen, da die
Geräusche mehr einem auf der Wanderung befindlichen VolkfaStauame,
als einem Heere entsprechen. — Dr. IL Wedel.
**) Mit ihm vergleiche man den im Jahre K,44 iu der Dresdener
Haide gesehenen wilden Jäger Hans Jagenteufel in „Psych. Studien44
Dezember-IIeft 1893 S- 573 ff. — Der öekr. d. Red.
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