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428 Psychische Studien. XXII. Jahrg. 9. Heft. (September 1895.)
k) Breitenbach (Hessen). — Sind Träume
Schäume? — Aus Breitenbach (Hessen) wird folgende
merkwürdige Geschichte berichtet, die freilich schwer auf
ihre Wahrheit zu prüfen ist: — Ein verheiratheter Arbeiter
ist dort als Dienstknecht in Stellung. Letzthin beschleicht
ihn ein Ahnungsgefühl, als ob seinem einzigen Kinde ein
Unglück zugestossen sei. Er will nach seiner in einem
nahegelegenen Dorfe befindlichen Wohnung eilen, doch der
Dienstherr redet ihm seine Gedanken aus, und so bleibt er
denn. In der nächsten Nacht träumt ihm jedoch, er sieht
sein Kind ins Wasser fallen und muss es, ohne ihm helfen
zu können, ertrinken lassen. Nun hält ihn nichts mehr, er
eilt zu Fuss nach seinem Heim. Kaum dort angelangt,
vernimmt er die schreckliche Kunde, dass sein einziger
Liebling in den durch Hochwasser angeschwollenen Bach
gefallen, mit fortgerissen und in der That ertrunken sei. —
(„Deutsche Wacht", 6. November 1894.)
/) Eine beachtenswerthe psychologische Studie ist —
„Der siebente Sinn" — von /. H. Bosnyf frei übersetzt
von Paul Remer, aus deren HL Fortsetzung wir folgende
interessante Stellen eines Blinden (s. „Das Magazin für
Litteratur" 63. Jahrg. Nr. 28 v. 14. Juli 1894, Spaltseite
883 ff. schöpfen.) Ein freiwillig Blinder, Antoine, führt ein
Tagebuch über seine inneren Erlebnisse nach seiner Erblindung
, worin er von einer Art „Wahrnehmung der
Atmosphäre" spricht, „jener Atmosphäre, von der die feinst-
organisirten Menschen kaum die gröbsten Veränderungen,
wie Verdünnung, Verdichtung, Wind, Sturmu.s.w. empfinden.
Ich nahm ihre kleinsten Wandlungen, ihre feinsten Strömungen
wahr;" .. . „ebenso wie für den Sehenden die Gegenstände
eine Lichtform haben, in gleicher Weise begannen sie für
den Freiwillig-Blinden, der ich war, eine magnetische Form
zu erhalten. . . Bereits erlaubten mir gröbere Anzeichen,
eine gewisse Anzahl von Gegenständen gefühlsweise zu
unterscheiden, im besonderen die Nähe eines Waldes, eines
Hügels, eines Sumpfes... Ich nahm deutlich die electrischen
Wärmeströmungen wahr, ich empfand Regen und Sturm
voraus; alles, was die Electricität verdichtete, was das
Fliessen des Luftstroms hemmte oder beschleunigte, wirkte
auf mein Empfinden. Ein herber Geruch löste sich vom
Blätterwerk der Bäume ab.. . Am Ende gelangte ich dahin,
mich allein vermittelst meines Empfindens durch den
unregelmässigen Säulenwirrwarr der Baumstämme zurecht
zu finden. . . Einer von Allen zog mich an, der Abkomme
eines Geschlechts, das seit zwölf Generationen blind war.
Seine Unterhaltung zeigte eine Fülle von seltsamen
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