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Wittig: Die weisse Frau.
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6. Da liegen die Kaiser-Insignia,
Da liegt die goldne Bulle,
Das Scepter, die Krone, der Apfel des Reichs
Und manche ähnliche Schrulle.
7. Da liegt das alte Kaiser-Ornat,
Veiblichen drüber und drunter,
Die Garderobe des deutschen Keiehs,
Verrostet, vermodert jetzunder.
8. Die Schaffnerin schüttelt wehtnüthig da3 Haupt
Bei diesem Anblick, doch plötzlich
Mit Widerwillen ruft sie aus: —
„Das Alles riecht entsetzlich! ....
13. Verrostet ist und vermodert
Das alte Costüm, — die neue Zeit
Auch neue Eöcke fodert.
14. Wohl sprach ja einst der deutsche Poet
Zum Rothbart im KyfThäuser:
„Betracht1 ich die Sache ganz genau,
So brauchen wir gar keinen Kaiser!"*) —
15. Doch wollt ihr durchaus ein Kaiserthum,
Wollt ihr einen Kaiser küren,
Ihr lieben Deutschen, lasst euch nicht
Von Geist und Ruhm verführen.
16. Erwählet kein Patricierkind,
Erwählet einen vom Volke,
Erwählt nicht den Fuchs und nicht den Leu,
Erwählt mit bestem Erfolge!
17. Erwählt den Sohn Kolonias,
Den guten Kobes von Köllen;
Der ist treuherzig und fast em Genie,
Er wird sein Volk nicht prellen.
18. Ein Klotz ist immer der beste Monarch,
Das zeigt Aesop in der Fabel;
Er frisst uns arme Frösche nicht,
Wie der Storch mit dem langen Schnabel. . . .
30. Wird Kobes Kaiser, so ruft er gewiss
Die Funken wieder ins Leben,
Die tapfere Schaar wird seinen Thron
Als Kaisergarde umgeben.
*) Siehe Heinrich Heinei — „Deutschland. Ein Wintermärchen.
Geschrieben im Januar 1844. Caput XVI, letzte Strophe. Es war die
Zeit, in welcher selbst ein so guter Patriot wie Gustav Freytag im
Juli 1848 noch im neuen Programm der mit Julian Schmidt geleiteten
„Grenzboten" schreiben konnte: — „Wenn 'die G^^boten* ihr Volk
demokratisch organisirt sehen, werden sie wenig danach fragen, ob die
Häupter der Staaten einen grauen Filz oder emen goldenen Reif
tragen." — Man vergleiche hierzu noch Heine's Strophen über den
„Spiritus familiaris" und „rothen Mann" Napoleon'» vor entscheidenden
Tagen in „Psych. Stud." April-Heft 1895 S. 189 ff. —
Der Sekr. d. Red.
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