http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0045
Kniepf: Plauderei über Mesmeriamus und Ernährung. 35
Uebertragung weniger empfänglich, sie eignet sich ihrer
Natur nach nur für Beseitigung von krankhaften Störungen.
Nun giebt es freilich kein Altern ohne solche Störungen,
und durch magnetischen Verkehr lassen sich, wie gesagt,
sehr schöne Erfolge erzielen, aber es bleibt alles in den
Grenzen der natürlichen, physischen Lebenszeit. Angenommen
aber, eine derartig lange Erhaltung des Lebens, wie sie
Butienstedi bei hervorragenden Männern wünscht, sei durch
enorme Zuführung von fremder Lebenskraft möglich, so
liegt die Vermuthung nahe, dass die also behandelten
Leute so viel von fremder Individualität annehmen würden,
dass von ihrem individuellen Schaffensgeiste nicht viel übrig
bliebe. Jedem ist auch sein Maass von Productivität ohnehin
gesteckt, selbst die productivsten Künstler gelangen an eine
Grenze ihrer künstlerischen Entwickelung. Gewiss hätten
uns Raffael und Mozart noch grossartige Schöpfungen
geschenkt, wenn ihnen das Geschick günstiger gewesen wäre.
Der grosse Maler starb in Folge einer ärztlichen Kurpfuscherei
(an einem Aderlass), und Mozart ebenso frühzeitig
vor Hunger und Kummer. Wenn ein Zeitalter
immer wüsste, wo seine wahren Grössen stecken, so
brauchten wir zumeist nicht zum Lebensmagnetismus,
sondern nur zum Brodkorb unsere Zuflucht zu nehmen.
Nicht aber jeder bedeutende Kopf liebt auch das
Leben in dem Grade, wie z. B. der sicher geistreiche Fürst
Puckler Muskau, der sich aus Aegypten neben einem prächtigen
Berbergestüt auch ein paar scböne Sklavinnen mitbrachte,
auch sonst stets Leute von Witz und Heiterkeit zu Gaste
lud, um seine verlöschenden Kräfte zu verjüngen. Noch
im Alter von 84 Jahren von imponirender Gestalt, äusserte
er sich gelegentlich seinem alten Kammerdiener gegenüber
vergnügt: — „Nun K. . ., wie wäre es, wenn wir nochmal
von vorn anfingen zu leben?'* — Ich muss betonen, dass
sich das auf sein der maliges Dasein bezog, nicht etwa auf
ein zukünftiges. Denn dieser grosse Epikuräer war nebenher
nämlich auch unsterblichkeitsgläubig und hatte einen
bedeutenden Hang zur Mystik. Auf der Spitze einer der
drei Pyramiden, die er nach dem Vorbilde der Pharaonen
in seinem Parke zu Branitz (allerdings aus märkischem
Sande) erbaute, findet der Wanderer die Worte gemeisselt;
— „Gräber sind die Bergspitzen einer fernen
Welt." — Die eine dieser Pyramiden bildet sein Grab;
sie ist unzugänglich, denn eine breite Wasserfläche umgiebt
sie: — vielleicht wollte er denn doch endlich Ruhe haben.
Ja, Jeder, der alt genug wird, bekommt es schliesslich
satt! Manche, und nicht die Unbedeutendsten, mitunter
3*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0045