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76 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1896.)
„'Einem Zimmermeister im Gotteskoog theilte Boy eines
Tages folgendes mit: — ,Ihr werdet nächstens hier im Kooge
eine Leiche haben, und Du wirst den Sarg anfertigen; denn
ich habe den Leichenzug beobachtet und gesehen, dass Du
an der linken Seite des Sarges gingst; Dein Geselle befand
sich an der rechten Seite.' — Der Meister erwiderte: —
,Da wirst Du Dich wohl geirrt haben; denn mein Platz ist
doch an der rechten Seite.' — Es war Lämlich früher Sitte,
dass derjenige, der den Sarg anfertigte, an der rechten
Seite, der Gehilfe aber an der linken neben dem Sarge
herging. Boy aber beharrt bei seiner Warnung. Bald
darauf stirbt Jemand im Gotteskoog, und der Meister wird
beauftragt, den Sarg anzufertigen. Der Tag der Beerdigung
kommt; es stürmt und regnet sehr stark. Eine Zeitlang
hält es der Meister an der rechten Seite, welche grade die
Windseite ist, aus; bald aber muss er seinen Platz mit dem
des Gesellen vertauschen, da er nicht im Stande ist, an
dieser Seite des Sturmes und Regens wegen auszuharren. —
,/Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Boy bei
Verwandten in Süd-Niebüll; dort hat er die letzte Vision
gehabt, und diese betraf ihn selbst. Er sprach eines Tages
zu seinen Hausgenossen: — ,Es wiid sich in unserem Hause
ein Unglück ereignen Ich habe hier auf dem Tische Jemand
liegen sehen und Leute bei ihm, die sich um ihn bemühten.'
— Boy hat das Unglück zu straucheln; er fällt und bricht
ein Bein. Der Arzt, der den Verband anlegen soll, lässt
ihn hintragen auf den Tisch, den Boy bezeichnet hatte.
Dieser Schade hat seinen Tod zur Folge gehabt, der, wie
Eingangs erwähnt, am 14. März 1839 erfolgte/" —
Soweit der mit Sorgfalt geschriebene Bericht, der
schwerlich seinen Zweck verfehlen dürfte. Mir aber sei
gestattet, demselben eine kurze Bemerkung anzuschliessen.
Der Glaube an das zweite Gesicht ist noch heutzutage
unter den Nordfriesen gäng und gäbe. Nur der Unverstand
wird sie deshalb des „Aberglaubens" zeihen wollen. Sie
sind im Gegentheii ein recht intelligentes Völkchen, und
jener ihr Glaube stützt sich eben auf Erfahrungsthatsachen.
Zur Begründung der letzteren Behauptung will ich mir mit
Rücksicht auf den knapp bemessenen Raum der „Psych.
Stud," nur einen einzigen Beleg erlauben. Als ich nämlich
im verflossenen Sommer mich besuchsweise in der Friesischen
Marsch aufhielt, legte ich vierzehn mir näher bekannten
Personen die Frage vor: — „Glauben Sie an Spuk?" —
Ihrer vier antworteten: — „Nein, wir glauben erst dann,
wenn wir selbst etwas gehört und gesehen haben.u — Die
zehn dagegen erklärten: — „Ja, daran glauben wir; denn
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