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dl30 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 3. Heft. (März 1896.)
Die Kiclitigkeit seiner Angaben vermochte ich natürlich,
da nicht Arzt, nicht zu prüfen. Er schilderte mir (stets in
französischer Sprache) das Fleisch feurig durchscheinend und
die Knochen in phosphorescirendem besonderen Glanz erstrahlend
. An meiner rechten Schläfe befindet sich eine Narbe,
von einer Schusswunde herrührend, und die Kugel, die dort
eindrang, befindet sich noch in meinem Kopfe. Ich beschloss,
dies zu einer Prüfung des Wissens Jos?* zu benutzen. Ich
sass so zu ihm, dass er meine rechte Kopfseite nicht sehen
konnte Ich forderte ihn auf, seine Aufmerksamkeit auf
meinen Kopf zu concentriren, und fragte, ob er dort etwas
Abnormes bemerke, oder gar einen Fremdkörper sehen könne.
Er antwortete, dass alles normal und intact sei. Ich fragte
ihn vier oder fünf Mal und erhielt stets dieselbe Antwort.
Hierauf stellte ich an ihn die Anforderung, mir die Sehnen
meines linken Daumens zu beschreiben. Als er damit begonnen
, stand ich wie ermüdet vom Sitzen auf, indem ich
seine Hand mit hob, um mit ihm in Rapport zu bleiben,
und stellte mich so, dass meine rechte Kopfseite ihm zugewandt
war, sich gleichzeitig aber so hoch befand, dass
er, um nach derselben zu sehen, die Augenlider etwas hätte
öffnen müssen, und beobachtete seine Augenlider scharf.
Ohne letztere zu öffnen, unterbrach er sich plötzlich und
sagte: — „Ich sehe etwas Fremdes an der rechten
Seite des Hinterkopfes; es hat den ungefähren
Durchmesser einer Erbse und die Länge eines
halben Gliedes des kleinen Fingers und getrennt
davon an der Schläfe eine verheilte Narbe." —
(Die Narbe hatte das Aussehen eines Muttermales.) Man
wird nun leicht annehmen, Jost habe überhaupt nichts gesehen
und, durch mein mehrmaliges Fragen stutzig gemacht, in
einem unbewachten Augenblick die Augen geöffnet, die
Narbe erblickt und daraus als gewandter Mensch gleich
seine Schlüsse gezogen. Dem steht aber gegenüber, dass
er, während ich ihm die linke Kopfseite zuwandte, keinen
Fremdkörper auf der rechten Seite sehen konnte, da die
Knochen von den X-Strahlen nicht durchdrungen werden
(man denke an Röntgeris Photographie der Hand), und dass
er beim Anblick der Narbe doch zuerst auf den Schluss
hätte kommen müssen, in derselben oder deren nächster
Nähe befinde sich ein Fremdkörper. Ob übrigens wirklich
die Kugel an der von ihm bezeichneten Stelle sich befindet,
bleibt dahingestellt; nach ärztlichem Ausspruch ist es allerdings
wahrscheinlich.1' —
Ich kann mir nicht versagen, dieser Darstellung einige
kritische Bemerkungen nachzuschicken.
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