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Dr. Kraft: Röntgen und Reichenbach.
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ist nichts zu schmälern —, wohl aber, um Karl v. Reichenbach
wenigstens nach seinem Tode zu seinem Recht zu verhelfen.
Denn er kannte etwas schon, was wir durch
Röntgen erst wieder beginnen kennen zu lernen.
Von Röntgen haben wir „über eine neue Art von Strahlen"
eine vorläufige, aber recht inhaltsschwere Wittheilung von
wenigen Seiten, von Reichenbach noch inhaltsschwerere dicke
Bücher, die verstaubt beim Antiquar und auf den Bibliotheken
stehen, vergessen wie ihr Verfasser. Denn wer kennt ihn
noch, den einst vielgenannten Entdecker des „Od", dessen
Arbeit Dubois-Reymond im Jahre 1845, mehr apodiktisch als
weitsichtig, bezeichnete als eine der „traurigsten Verirrungen,
der seit lange ein menschliches Gehirn anheimgefallen,
Fabeln, die ins Feuer geworfen zu werden verdienen." Trügt
nicht alles, so bekommt Dubois-Reymond gründlich Unrecht;
man holt Reichenbach's „physikalisch-physiologische Untersuchungen
" (Braunschweig 1849), sein dickleibiges, zweibändiges
Hauptwerk ,.Der sensitive Mensch und sein
Verhalten zum Ode" (Stuttgart und Tübingen 1854 und
1855), seine „Odisch-magnetischen Briefe" (1852), seine
„Aphorismen über Sensitivität und Od41 (Wien 1866) und
anderes mehr wieder hervor und giebt ihnen vielleicht ein
Ehrenplätzchen. Man wird sich auch für den Mann wieder
interessiren, wird finden, dass er als Entdecker von Creosot
und Paraffin seine wissenschaftliche Befähigung erwiesen
hat, dass er auf geologischem Gebiet nicht minder als auf
chemischem zu Hause war. Man wird ihn auf seinem Lebensweg
von Stuttgart, wo er 1788 geboren war, nach Tübingen,
von wo den Studenten die Napoleonische Polizei auf den
Hohenasperg in Gewahrsam brachte, zu seinen industriellen
Unternehmungen in Baden und Mähren begleiten, und wird
dann mit besonderer Theilnahme bei der Zeit verweilen,
wo er auf seinem Schloss Reisenberg bei Wien unermüdlich
das Material und neue Kraft sammelte zu einem bis zu
seinem Lebensende sieglosen Kampf um die Lehre vom „Od".
In dem nordischen Wortstamm .,Od" mit dem Begriff
des Alldurchdringenden fand Reichenbach das Lautzeichen
für ein von ihm entdecktes, alles in der gesammten
Natur mit unaufhaltsamer Kraft rasch durchdringendes und
durchströmendes Dynamid, das er scharf von Licht, Wärme,
Magnetismus, Electricität unterschied. Es begleitete wohl
diese Kräfte, stammte wohl auch aus gleicher Quelle, aber
es war eine andere, eben nur zu schwer fassbare Kraft. Er
fand kein Odometer, kein Odoskop, sie jedem nach Maass
und sichtbar vorzuführen; seine Lehre gründete sich nur
auf die von ihm gebuchten und verglichenen Aussagen seiner
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