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136 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 3t Heft. (März 1896.)
„Sensitiven"; so nannte er die Personen, deren Nervensystem
— Gefühl und Gesicht — auf jene Kraft in besonderer
Weise reagiite, indem für sie durch dieselbe bestimmte
Gefühlseindiücke und in absoluter Dunkelheit bestimmte
wunderbare Gesichtseindrücke ausgelöst wurden. Aber auch
die Nicht sensitiven wollten sehen, und da sie.es nicht konnten,
sie, die doch weitaus die Mehrzahl waren, so glaubten sie
nicht. Die Männer der Wissenschaft, die da nicht sahen,
thaten alles, Reichenbach bei Lebzeiten todt zu machen.
Berzelius war einer der wenigen, die zu ihm standen, und
Fechner war eine seiner letzten Hoffnungen. Fast dreissig
Jahre nach seinem Tode kommt dann ein Mann, der keine
Sensitiven mehr braucht, um eine erstaunlich ähnliche Kraft
sichtbar für alle in die Erscheinung treten zu lassen, und
vielleicht wird auch er die Sensitiven doch noch zu gebrauchen
suchen. Jedenfalls hat er, Röntgen, das Nöthige gethan,
um Reichenbach's Lehre jetzt selbst einem Dubois-Reymonä
nicht so sehr „als einen abgeschmackten Roman", als „krausen
Zauberkram", wie vielmehr als eine durch Jahrzehnte
begrabene, erst neu zu machende, weitreichende
Entdeckung erscheinen zu lassen. Für diese Behauptung
will ich die Beweise nicht schuldig bleiben.
Röntgen zeigt uds auf seiner Bariumplatincyanüifläche,
dass seine X-Strahlen Papier, Karten, Staniol, Holz durchdringen
. Was notirt Reichenbach von seinen Sensitiven,
deren Netzhaut in der Dunkelkammei ihre besondere
Empfindlichkeit gewonnen hat? Man lese in seinem Buch
— „Der sensitive Mensch" — etwa § 2386, worin er die
Beobachtungen an Blechtafeln schildert, die in den lichtdichten
Fensterladen der Kammer eingelassen waren: —
„Johann Klaiber fand zu verschiedenen Zeiten das vom Monde
aussen beschienene Eisenblech in der Dunkelkammer so
ausserordentlich helle, dass er behauptete, es sei durchsichtig."
„Friedrich Weidlich war erstaunt, in dieser Finsterniss ein
Loch im Laden zu finden, während es doch so finster im
Zimmer war. Er fand nämlich das Eisenblech so klar und
durchsichtig, dass er es im ersten Augenblick für eine
Oeffnung hielt, bis er sich mit den Händen überzeugte,
dass da weder ein Loch noch ein Glasfenster war. Auch
er versicherte, Bäume, Berge, die Donau, die Brücken
darüber, den Mond zu sehen." Herr Anschütz (§ 2392) fängt
die Helle, die durch das Metallblech eindringt, auf einem
weissen Schilde auf. Von Fräulein Reichel berichtet Reichenbach
§ 2384: —
„Ich brachte verschiedene Gegenstände ausserhalb
„der Dunkelkammer hinter das vom Mond beschienene
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