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Wittig: Parallelfälle zu dem nächtlichen Schreckgespenst etc. 165
Hofe des römischen Kaisers Septimius Severus (193—211)
und seiner nach ihm die Vormundschaft für ihren Sohn
Garacalla führenden philosophischen Mutter Julia Domna
(f 217 n. Chr.), in deren Auftrage PUlostratus über den
angeblichen Wunderthäter ^Apollonius von Tyäna"
auf Grund der hinter!assenen biographischen Aufzeichnungen
eines Philosophen Damis von Ninive, eines Maximus von
Aegae, eines Testamentes von Apollonias und eines 4 Bücher
enthaltenden Manuscripts von Möragenes eine in gutem
Griechisch verfasste Lebensgeschichte jenes denkwürdigen
Mannes um das Jahr 220 n. Chr. fertig stellte, welcher in
vielen Punkten als ein Zeitgenosse und Bival von Christus
unter den Heiden betrachtet wurde. In Buch IV, 25 der
Eduard Balizer'&chen üebersetzung (Rudolstadt in Thüringen,
ff. Härtung $r Sohn, 1883) S. 164 lesen wir: —
„25. In Korinth lebte damals ein Philosoph Demetrius,
welcher den Cynismus in seiner ganzen Bedeutung repräsen-
tirte und später von Favorinus oft in Ehren erwähnt wird.
Dieser empfand eine tiefe Sympathie für Apollonias, ähnlich
wie Antisthenes füi Sokrates; er hielt sich lernbegierig zu
ihm und führte ihm seine besten Schüler zu.
„Unter diesen war auch Menippus der Lycier, 25 Jahre
alt, geistvoll und schön, eine edle Athletengestalt. Man
meinte nun, dieser Menippus werde von einer fremden Frau
geliebt, die sehr schön, voller Liebreiz und sehr reich sei.
In Wirklichkeit war sie aber das Alles nur dem Anschein
nach, wie sich in der Folge erwies. Als Menippus nämlich
eines Tages allein nach Kenchreae lustwandelte, erschien
ihm unterweges ein Gespenst in Frauengestalt,
fasste ihn bei der Hand und sagte, sie habe ihn schon
lange geliebt; sie sei Phönizierin und wohne in einer
Vorstadt Korinths. Sie bezeichnete ihm das Haus und
fuhr dann fort: — 4 Wenn Du mich diesen Abend besuchen
willst, so werde ich mit Gesang Dich erfreuen, wie Du ihn
noch nicht gehört, und mit Wein, wie Du ihn noch nicht
getrunken hast, und kein Nebenbuhler soll Dich stören,
und wir wollen leben, die Schöne mit dem SchönenV —
Das überwand den Jüngling; denn ob er auch die Philosophie
liebte, die Neigung war stärker: — so suchte er sie denn
am Abend auf und wiederholte die Besuche bei seiner
Geliebten, ohne den bösen Dämon in ihr zu ahnen.
Apollonius aber sah den Menippus wie ein Bildhauer
prüfenden Blickes an, begriff und durchschaute ihn ganz
und redete ihn an: — 'Du gleichst dem Edelwild, von
schönen Frauen gefangen; eine Schlange hast Du an Deinem
Busen und eine Schlange Dich!' — Da Menippus betroffen
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