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170 Psychische Studien. XXUI. Jahrg. 4. Heft (April 1896.)
bedeutende ßolle als Göttin der Unterwelt, alles nächtlichen
Spuks und Zauberwesens, als welche sie Kratdis (die
Gewaltige) hiess und furchtbar unter den Schatten herrschte.
Damit hängt ihr nächtliches, gespenstisches Wesen zusammen.
Sie schickt nächtliche Spukgestalten aus der Unterwelt
herauf, den Menschen zum Schreck und Verderben, wie die
Empusen und die Lamien. Die Empusen sind Gespenster
unter allerlei Gestalten, als Rind, Natter, Scheusal mit
blutgefärbtem Gesicht, mit einem Fuss oder auch zweien,
einem ehernen*) und einem Eselsfuss, auch als schönes
Weib erscheinend. Die Lamien stammen von Lamia, einer
Tochter des Belos und der Libya, die wegen ihrer Schönheit
eine Geliebte dss Zeus ward und deshalb von dessen
Gemahlin Here aus Rache ihrer Kinder beraubt wurde,
worüber sie wahnsinnig ward und als Spukgei&t anderen
Muttern ihre Kinder raubte und tödtete. Sie erscheint als
schreckhaft hässliches Gespenst, mit dem man den Kindern
drohte. Zeus verlieh ihr z. B. die Gabe, ihre Augen beliebig
aus dem Kopf nehmen und wieder einsetzen zu können.
Später verstand man unter Lamien schöne gespenstische
Frauen, die durch allerlei Blendwerk Jünglinge an sich
lockten, um, wie die Vampyre der modernen Zeit, deren
frisches und jugendlich reines Blut auszusaugen. Die Verehrung
der Hekaie fand an Kreuzwegen statt. Sie selbst
kommt aus der Unterwelt herauf und schwärmt, begleitet
von stygischen Hunden [wie die wilde Jagd der Diana],
mit den Seelen der Verstorbenen und allerlei schreckhaften
Dämonen in nächtlicher Stunde auf den einsamen Strassen,
auf den Dreiwegen und den Gräbern umher, welche
gewöhnlich an den Strassen lagen. Daher ihr römischer
Name Trivia, d» i. Göttin der Dreiwege. Ihre Nähe verkündigten
die erschrockenen Hunde Nachts mit Winseln
und Geheul. Wer Geister aus der Tiefe heraufbeschwören
wollte, rief Hekaie an unter allerlei magischen Beschwörungsformeln
. Daher ist sie die Göttin des Zaubers und
die Patronin der Zauberer und Zauberinnen, die in stillen
Mondnächten die durch das Mondlicht der Hekate mit Zauber
erfüllten Kräuter im Gebirge aufsuchten und durch ihre
Gunst und Hülfe ihren Zauber übten. Die grossen
Zauberinnen des Alterthums, Medea und Circe, haben von
ihr die Kunst erlernt. Weil sie in allen drei Reichen, im
*) Wir werden später noch auf eine mit drei Hufeisen beschlagene
Hexe in der deutschen Sage zurückkommen, besonders bei der von
meinem seligen Vater mir tiberlieferten Bolkenhainer Brückenhexe in
meinem Artikel: — „Weiteres Spuk- und Räthselhaftes." —
Der Sekr. d. Red.
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