http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0185
Maier: Die menschliche Seele im Lichte indischer Forschung. 175
Die menschliche Seele im Lichte indischer Forschung.
Berichtet von Dr. F. Maier, Prof. a. D. zu Tübingen.
Ueber die indischen Auffassungen der
menschlichen Seele hielt der an der philosophischen
Fakultät der Universität Tübingen als Nachfolger des weltberühmten
Sanskritforschers Prof. Dr. Rudolf v. Roth neuernannte
Professor der orientalischen Sprachen, Dr. Garbe,
am 28. November v. J. seine akademische Antrittsrede, in
welcher er die wichtigsten Punkte seiner in Benares unter
Leitung brahmanischer Lehrer angestellten Forschungen
über obige Frage in lichtvoller Weise zusammenstellte und
dabei zu theilweise neuen Ergebnissen gelangte, deren
Mittheilung für die Leser einer Zeitschrift, welche sich die
Erforschung der Geheimnisse des menschlichen Seelenlebens
zur hauptsächlichsten Aufgabe macht, von historischem
und philosophischem Interesse sein dürfte. Redner gedachte
zunächst des Mannes, dem er selbst alles verdanke, des
im Sommer-Seraester 1895 verstorbenen Roth, der sich in
seinem bedeutendsten Lebenswerk, dem mit Böhtlingk
herausgegebenen grossen Wörterbuch der Sanskritsprache,
in der Gelehrtenwelt ein Denkmal für alle Zeiten gesetzt
hat. Die Erforschung der heiligen Sprache der alten Inder
war jedoch für ihn nur Mittel zum Zweck; das Geistesleben
des Volkes, das schon in ältester Zeit den Urgrund
alles Seins, das Verhältniss des Irdischen zum Ueberirdischen
und im Zusammenhang damit das innerste Wesen des
Menschen selbst in beschaulicher Betrachtung zu ergründen
suchte, stand stets im Vordergrund des wissenschaftlichen
Interesses des edlen Verstorbenen.
Bei keinem Volke der Erde hat sich nachweisbar so
frühe der Trieb geregt, diese Fragen zu lösen, wie in
Indien, und derselbe ist bis auf den heutigen Tag trotz
der mannigfaltigsten geschichtlichen Wandlungen lebendig
geblieben, wie ja auch die moderne theosophische Bewegung
in Europa ihren Ausgangspunkt von der altindischen
Gottesweisheit genommen hat. Auf Grund seiner eingehenden
, theilweise an Ort und Stelle gemachten Studien
entwickelte nun der Festredner die wichtigsten Ansichten
über das Wesen der menschlichen Seele, welche sich
zunächst in der ältesten indischen Litteratur, den Veden,
finden.
Im Hauptbuche derselben, dem „Rigveda", dessen
früheste Bestandteile neuerdings auf Grund astronomischer
Angaben bis ins dritte Jahrtausend vor Christus zurück-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0185