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176 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1896.)
geführt werden, finden wir freilich noch nicht die tiefsinnigen
Speeulationen der späteren indischen Philosophie. Es lassen
sich dort noch Spuren des Animismus nachweisen, d. h.
des urzeitlichen Seelenglaubens, wie er uns bei den meisten
Naturvölkern mehr oder weniger entwickelt begegnet. Dort
ist nämlich bereits die Rede von „manas" als dem Prinzip
des Denkens, Evkennens, Fühlens und Wollens. (Von derselben
Wurzel man = 'denken' kommt bekanntlich Mann
und Mensch = Denker.) Dieser Inbegriff aller psychischen
Vorgänge erscheint aber ursprünglich als etwas Substantielles,
räumlich Ausgedehntes, und hat seinen Sitz im Herzen des
Menschen; es ist sogar naiver Weise wiederholt die Rede
von der Daumengrösse der menschlichen Seele. Nach dem
Tode lebt das „m a n as" fort, aber nicht als blosser Schatten,
wie die Seelen der verstorbenen Helden bei Homer, sondern
im Vollbesitz aller geistigen Kräfte.
Das „manas" ist an einen Leib gebunden, und da der
irdische Leib verbrannt wird, oder unter der Erde vermodert,
so bildete man sich die Vorstellung eines feineren (gewisser-
maassen ätherischen) Leibes, in welchem die Seelen der
Guten bei den Göttern im Himmel sinnliche und höhere
Freuden gemessen, während die Seelen der Bösen in den
Höllenpfuhl hinabsinken, wo sie ihre Strafe erwartet. Die letztere
Vorstellung hat Rudolf Roth bei den vedischen Indern früher
bestritten und die Ansicht vertreten, dass in den „Veden"
nur die Guten fortleben, während die Bösen untergehen.
Es war dies einer der seltenen Irrthümer dieses Forschers,
den ei wohl in seinen letzten Lebensjahren auf Grund
neuerer Forschungen selbst eingesehen, wenn auch nicht
ausdrücklich berichtigt hat.
Diese naive Vorstellung ist in der Hauptsache in der
späteren volksthümlichen Religion bestehen geblieben; nur
wurde sie modificirt durch den unvermittelt auftretenden Glauben
an die Seelenwanderung, nach dem jedes einzelne Individuum
die Folgen seiner guten Thaten geniesst und die Folgen seiner
bösen Werke zu tragen hat. In dieser zweiten Periode
entstand damit der pessimistische Glaube an die fortwährende
Wiederkehr der Seele in immer neuen Verkörperungen,
welche sie nicht zur ersehnten Ruhe gelangen lassen.
Wann diese trübe Anschauung die frühere naive Lebensfrohheit
verdrängt hat, lässt sich geschichtlich nicht nachweisen
. Wahrscheinlich haben wir darin die Folge eines
fremden Einflusses bei der Verschmelzung der arischen
Eroberer des Landes mit der dunkelfarbigen Rasse der
rohen Urbewohner zu erblicken, welche, wie die meisten
rückständigen Wilden, an die Fortdauer menschlicher
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