http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0187
Maier: Die menschliche Seele im Lichte indischer Forschung. 177
Seelen in Bäumen und in Thieren glaubten, ein Glaube,
der sich übrigens bei derartigen Naturvölkern nachweisbar
nirgends weiter entwickelt hat. Bei den von den Himalaya-
thälern heruntergekommenen Ariern dagegen trat diese
Vorstellung in Verbindung mit der Lehre \ron dem Fortwirken
der Kraft jeder einzelnen That, wornach
es kein unverdientes Glück und kein unverschuldetes
Unglück geben kann, indem dem physischen Gesetz: —
„Keine Ursache ohne Wirkung" — und umgekehrt: — „Nihil
fit sine causa" — die moralische Kausalität genau entspricht,
so dass in der That jeder seines Glückes Schmied ist. Die
tägliche Wahrnehmung von scheinbaren Ungerechtigkeiten
in der Vertheilung von Glück und Elend zwang so die
alten Inder zu der Annahme, dass die Leiden des gegenwärtigen
Lebens verschuldet sind durch unsere Thaten in
einem früheren Dasein, und damit zum Glauben an eine
Präexisteuz der Individualität. Das Kar man ist die jeweilige
Summe des Guten und des Bösen in diesem und dem vorangegangenen
Leben, welche das Schicksal des Individuums
bestimmt. Aber der Grundsatz, dass keine That unbelohnt
bleibt, duldet keine Beschränkung, und was von diesem
gegenwärtigen Leben gilt, findet auch seine Anwendung
auf jedes frühere Dasein. So kam man in streng logischer
Weise zu der Annahme von der Anfangslosi^keit der Seele,
womit als letzte logische Consequenz zugleich die Lehre
von ihrer Ewigkeit gegeben war. Diese Vorstellung finden
wir nun deutlich ausgeprägt in den „Upanishads"(-!Mtzungen,
Vorträgen), einer Gruppe philosophischer Schriften, in weichen
die Seele gewöhnlich mit dem Namen „ätmajn" (eigentlich Athem,
sodann Lebenskraft, das innerste Selbst) bezeichnet und weiterhin
mit der schaffenden Kraft identificirt wird, welche in allem
Vorhandenen wirkt. Letztere, das „b rahm an" (Brahma),
ist die ewige Urkraft alles Seins, und der Gedanke, dass
„ätman", die Seele des Menschen, nichts anderes sei als
„brahman", die Allseele, wird in den „Upanishads" mit hohem
poetischem Schwung in immerfort wiederkehrenden Bildern
und stets neuen Wendungen ausgeführt. (Es ist dies,
beiläufig bemerkt, bereits dieselbe Idee, welcher die neueste
Naturphilosophie mit Bezug auf den Alles erfüllenden und
stets neugestaltenden, beständig schwingenden Weltäther
zur Grundlage einer monistischen Weltbetrachtung gemacht
hat, und welche insbesondere auch der bekannte Dr. Eugen
Heinrich Schmitt in seiner „Religion des Geistes" seiner
Lehre von der Göttlichkeit, Einheit und Unendlichkeit des
Geistes zu Grunde legt, indem er annimmt, dass diese
Urkraft des Weltalls sich vorübergehend in einem von ihm
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0187