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Wittig: Ein Geisterschuss.
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gründlich über den Aberglauben hinaus, dass jedes dieser
Thiere immer ein Unheil bedeuten müsste; wenn aber ein
menschliches Unheil bereits im Anzüge wäre und dergleichen
schwarzes Gevögel sich zufällig dabei hören oder blicken
liesse, so sind Eulen und Elstern zwar nicht die Ursachen
von solchen Wirkungen, nicht die Gründe von Folgen,
sondern einfach Polgen neben Folgen, die doch nur unser
sie gläubig combinirendes Gemüth mit einander in scheinbar
ursächliche Verbindung setzt. —
Und was nun den uralten Volks- und Schicksals-
Glauben betrifft, dass der Freitag speciell ein Unglückstag
sei, an dem man kein gewagtes Unternehmen, keine
Reise u. s. w. beginnen dürfe, so beruht dieser Glaube in
seiner Wurzel auf keiner anderen Anschauung, als wie die
christliche vom Sonntage, oder die jüdische vom Sabbath.
Der Freitag war dereinst unseren germanischen Vorfahren
als Tag der Göttin Freya, Frigga, der sogenannten „Weissen
F?au" Holle, die auch Todtenfpau war, heilig. Und noch
heute ist der Freitag der mohammedanischen Welt ein
Feiertag von allen Geschäften. Die scheue, dunkle
Erinnerung an seine frühere Heilighaltung hat ihn den
späteren christianisirten Germanen und ihren Nachkommen,
den Deutschen des Mittelalters, welche seine uralten heiligen
Gebräuche nur schwer aufgaben, deshalb zu einem Unglückstag
gestempelt, ähnlich wie ihre alten Götter zu
Teufeln oder Aposteln (Wodan in den Wilden Jäger, Donar
in St Petrus u. s. w.) verwandelt und so verwünscht oder
verehrt wurden, je nachdem. Auch hier wurzelt der sich
im Stillen fortrankende Aberglaube im psychischen Gemüths-
leben der Einzelnen. Ich selbst bin sogar an einem Freitage
Nachts 1|211 Uhr geboren; aber von allen meinen sechs
übrigen (Geschwistern, die an anderen Tagen und Nächten
geboren wurden, bin ich allein weit über dreissig Jahre
hinaus am Leben geblieben. Oder wäre, an einem Freitag
und überhaupt geboren zu sein, schon ein gemeinsames
Unglück? Doch könnte ich mich damit trösten und dem
Unheil vielleicht entschlüpfen, wenn ich nach ältester
jüdischer Sitte den Freitag mit Sonnenuntergang enden und
nach diesem schon den Samstag beginnen liesse? Dann
wäre vielleicht mein Leben ein sabbathartiger Ruhetag?
Aber ach! ich scheine wohl damit aus dem Regen in die
Traufe, aus dem Freitag in den ältesten Feiertag der
Menschheit als eine Störung eingebrochen zu sein, und das
zauberkräftige Leben rächt sich für diese Entheiligung
durch lauter Unruhe und Sorgen bis an die Schwelle meines
Greisenalters! Man sieht, die Anschauung, der Glaube
Pnyohigcbe Studien. April 1896. 13
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