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208 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1896.)
Zauberthaten der mittelalterlichen Vorzeit und der Mitzeit,
Faust'& finden könnte."*)
Faust — wie wohl bekannt, wie innig vertraut klingt
der Name jedem Gebildeten! Schon lange, bevor Altmeister
Goethe sein unsterbliches Meisterwerk**) schuf, schrieb 1589
Christopher Marlowe, der englische Klinger, sein Drama* —
„The tragical history of the life and death of Doctor
Faustusu. — 1759 fasst C. E. Lessing den Plan, eine Tragödie
„Faust" zu schreiben, von der uns aber nur ein Fragment
erhalten geblieben ist. — Friedrich Müller, genannt Maler
Müller, schrieb 1778 — „Fausfs Leben"; f. Max v. Klinger
1791 einen genialen Roman: — „Fausfs Leben, Thaten und
Höllenfahrt" — und Nicolaus Lenau endlich 1835 ein episches
Gedicht: — „Faust". — Die Polen haben ihren Faust und
nennen ihn Twardowsky\ die Spanier Don Juan de Tenor io;
der Faust der Engländer ist der schon mehrfach erwähnte
Roger Bacon, der der Italiener Pietro von Abano\ natürlich
haben diese Gestalt alle Völker ihrem nationalen Oharacter
gemäss umgeprägt. Also schon um seiner Bedeutung, als
Gegenstand der Litteratur und Dichtung willen, verdient
Faust auch als geschichtliche und mythische Person betrachtet
zu werden. Auch Heinrich Heine hat der CoefAe'schen Faust-
Dichtung in seinem Werke: — „Deutschland I. Zur
Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland"
(1834) in dem Buchkapitel: — „Die romantische Schule"
(1833) — nach der alten Volkssage den Franzosen gegenüber
geistvolle Erwähnung gethan. — Fragt man nun: — Ist
Faust denn überhaupt eine historische Persönlichkeit, hat
er je gelebt? — so muss man mit einem entschiedenen —
Ja! darauf antworten. In Folgendem soll Fausfs Lebens-
umriss nach den wirklichen geschichtlichen Zeugnissen
gezeichnet und dann die mythische Person Fausfs nach den
alten Faustbüchern geschildert werden.
*) Siehe Prof. Dr. Freiherr Reichlin-Meldegg: — „Die deutschen
Volksbücher von Johann Faust". I, 54.
**) VergL „Psych. Stud." Februar-Heft 1884 S. 84 ff. nebst September
-Heft 1876 S. 415 ff. —
(Fortsetzung folgt.)
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