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252 Psychische Studien. XXIIL Jahrg. 6 Heft. (Juni 1896.)
Es war am hellen Tage. Ich befand mich allein in der
Küche. Plötzlich hörte ich die Eingangsthür (von der Stiege
zum Vorzimmer) aufmachen und wieder zuklappen. Ich lief
zum Küchenfenster, um zu sehen, wer da käme, und erblickte
zu meinem Erstaunen eine mir ganz unbekannte, sehr alte
Frau, klein, gebückt, bekleidet mit einer Art Mantille,
schweren, wie es schien, kostbaren Gewändern, lichter,
altertümlicher Haube. Langsamen, mühseligen Schrittes
näherte sie sich der Thür, durch welche man zu der zur
Mansarde führenden Holztreppe gelangte. Bevor sie jedoch
diese Thür öffnete, wendete sie sich um und sah nach mir
Thür zum Wohnzimmer
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Küchenthür mit Glasfenster
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Mein Standpunkt
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Küche
hin. Ich sah nun ihr Gesicht deutlich, weil es jetzt durch
das Küchenfenster direct beleuchtet wurde, und erblickte
mit Schrecken ein gelbes, fahles Antlitz voller Runzeln,
von unheimlichem Ausdruck, das richtige Todtengesicht. Sie
öffnete sodann langsam die zur Mansarde führende Thür
und verschwand durch dieselbe. Erschrocken blieb ich
stehen, getraute mich nicht, ins Vorzimmer zu gehen, blickte
aber unverwandt und ohne mich von meinem Platz zu
rühren nach der Thür hin, durch welche die unheimliche
Gestalt verschwunden war, um zu sehen, ob sie wieder
zurückkomme. In diesem Moment kamen Freundinnen von
mir, die im ersten Stock desselben Hauses wohnten, durch
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