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298 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1896.)
Wer mir im Herbst 1878 hätte voraussagen wollen, ich
würde dereinst ein Anhänger der spiritistischen Lehre werden,
der hätte sich wohl auf eine an Massivität nichts zu wünschen
übrig lassende, hart an die Grenze der persönlichen Ehrenbeleidigung
streifende Erwiderung meinerseits gefasst
machen müssen. Achtzehn Jahre alt, im ersten Semester
an der Universität, durchdrungen von der absoluten
Richtigkeit der modern exacten Naturforsehung, ein stets
kampfbereiter Jünger der scientia militans, — die ganze
Welt und alle sie bewegenden Kräfte und deren Gesetze
lagen „ganz klar" vor meinen gottähnlichen Augen. Ich
weiss mich noch sehr gut zu erinnern, wie ich damals eines
schönen Abends, als Hamletfs Monolog „Sein oder Nichtsein"
besprochen wurde, mitleidig lächelnd bemerkte: — „Nun
ja, bei dem damaligen Stande der Naturwissenschaften war
so 'was verzeihlich; heute aber sind wir, Gott sei Dank!
weiter, und es könnte nur ein ungebildeter oder ganz dummer
Kerl mit solchem Stiefel daherkommen \u —
Ist es nun nicht merkwürdig, dass mir gerade in dieser
Zeit Erlebnisse occulter Natur passirten, freilich, ohne dass
ich in ihnen mehr sehen wollte, als krankhafte Hirngespinnste
und Sinnestäuschungen? Dass mich bei dem ersten Vor-
kommniss trotz meiner Allweisheit ein eisiger Schauer
durchrieselte, hätte ich allerdings damals Niemandem eingestanden
, kaum mir selbst; — heute kann ich es freimüthig
gestehen, denn ich entsinne mich dessen noch sehr gut.
Es war im Januar 1879. Ich wohnte in Wien, VIII,
Josefgasse 1. Dass meine Mutter in meinem mährischen
Heimathsorte schwer krank liege, wusste ich, doch dachte
ich mir die Sache nicht so schlimm, dass das Aergste in
so kurzer Zeit zu befürchten wäre. Ich kam eines Abends
zur gewöhnlichen Stunde nach Hause und stieg die noch
voll beleuchteten Stiegen zu meiner im dritten Stock
gelegenen Wohnung hinauf. Während ich so die Treppe
hinaufging, kam mir plötzlich ein eigenthümliches Gefühl,
als ob irgend etwas Undefinirbares um mich herumziehe,
ja, es kam mir sogar vor, als ob ich so etwas wie einen
schwachen, kaum wahrnehmbaren Schatten neben mir ein-
hergleiten sehe, so dass ich mehrere Male stehen blieb und
rings um mich sah, weil mir, nach meiner damaligen
Ausdrucksweise, ,,das Zeug schon zu dumm war!" In der
Wohnung angekommen, ging ich sofort zu Bett, löschte das
Licht aus und schlief auch bald ein. Wie lange ich geschlafen
habe, kann ich nicht sagen, — ich weiss nur, dass ich nach
einiger Zeit wieder aufwachte und hörte, dass es in meinem
Zimmer seltsam rauschte, als ob eine Dame in schweren
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