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300 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1896.)
— ah! — ich hatte die Augen offen, richtete mich schnell
im Bett empor und rief, so erbittert war ich von dem
vorhergegangenen Kampfe, dem unbekannten, diesmal
überwältigten Ding ein furchtbares Schimpfwort nach. Seit
dieser Stunde (es sind jetzt fast fünfzehn Jahre her) ist es
nie mehr wieder gekommen *) —
Und doch waren es durchaus nicht diese Vorkommnisse,
die mich allmählich von meiner materialistischen Anschauung
abbrachten, sondern Dinge ganz anderer, ich möchte sagen,
subtilerer Art. Der Kontrast zwischen raeinen damaligen
Ansichten und einer eventuellen animistiscnen oder spiritistischen
Auslegung der geschilderten Erlebnisse war zu
gross, — da mussten andere Eindrücke vermittelnd eingreifen,
gar langsam den Uebergang zu besserer Erkenntniss anbahnen
, und diesen Dienst erwies mir zunächst die Kunst,
die Musik. In einem Wiener Philharmonischen Concert
erhielt mein Materialismus den ersten Stoss. Mendelssohns
Hebriden - Ouvertüre und Beethoven1 s vierte Symphonie, in
wundervoller Vollendung vorgetragen, brachten mir zum
ersten Male zum Bewusstsein, dass eine Erklärung dieser
unbeschreiblichen Gefühle, welche da den empfänglichen
Zuhörer bis zum völligen Selbstvergessen überwältigten, —
dass eine Erklärung dieser Gefühle durch Lufterscbütterungen,
hervorgebracht durch mit Pferdehaaren gescharrte Schafdärme
, gepustete Röhren, Blechzungen u. s. w. und in Folge
dessen mehr oder weniger zart gebeutelte Ohrhäute denn
doch nicht so ganz und gar aufklärend und überzeugend
wirken. — „Es muss da doch noch Etwas dahinter stecken!"
— dachte ich mir.
Den Todesstoss erhielt mein Materialismus bei meinem
Besuche der Wiener Katakomben. Die Wiener Katakomben
bieten (im Gegensatz zu manchen anderen) den
Eindruck, den sich der Besucher erwartet, in geradezu furchtbarer
Weise: — sie sind nicht, wie z. B. die Römischen, sauber
gefegt und geputzt, fast ohne sichtbare Spur eines menschlichen
Ueberbleibsels; sondern da liegen Schädel, Knochen,
morsche, zusammengebrochene Särge, vermoderte Kleiderfetzen
in oft mehr als meterhohen Haufen umher; die
Ueberreste vieler Tausende einst lebenswarmer, hoffender,
liebender Menschen starren dem Beschauer in trostloser
Todesöde entgegen. Bei diesem Anblick ging mir zum
*) Aehnlichen Alpdruck, sogar am hellen Tage, erlitt der
Sekretair der Redaction im Jahre 1881 uud wurde davon fast plötzlich
durch den magnetischen Einfluss eines Heilbauers im Erzgebirge
geheilt, wie in „Psych. Stud." Juni-Heft 1882 & 205. Jan.-Heft 1884
S. 44 etwas ausführlicher erörtert ist. — Der Sekr. d. Red.
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