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338 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1896.)
unter dem humoristischen Theil der Presse erschienen wäre,
und die Männer der Wissenschaft achselzuckend an ihr
vorübergegangen sein würden. Die wissenschaftlich experi-
mentirenden Spiritisten werden die. neue Entdeckung mit
Freuden begrüssen, denn sie hoffen von einer Erforschung
des Weltäthers, dieses geheimnissvollen Vermittlers aller
Erscheinungen, dieses vielseitigen Kraftträgers, neue Stützen
für ihren Glauben. Für sie ist der Aether nicht nur der
Vermittler von Licht und Wärme, von Electricität und
Magnetismus, sondern zugleich der Stoff, der als Od oder
Fluidum die psychischen Wirkungen hervorruft, welche in
den spiritistischen Phänomenen sich darstellen sollen. Er ist
für sie, gegenüber dem absolut todten Stoff, der Träger aller
Energie, alles Willens, des Bewusstseins und aller seelischen
Functionen, der Träger des Lebens überhaupt. Kalt und
nüchtern wird der Materiaiist die neue Entdeckung der
Aetherwirkung für seinen Standpunkt in Anspruch nehmen.
Für ihn wird die Wirkung der X-Strahlen eine Waffe gegen
das „ Uebersinnliche" im Spiritismus bedeuten, weil hier auf
mechanischem Wege Dinge zur Erscheinung gebracht werden,
für welche der Spiritist ohne Kenntniss der wissenschaftlichen
Erklärung eine übersinnliche Vermittelung angenommen
hätte. Eine solche Vermittelung erscheint dem Spiritisten
bisher unerlässlich zur Erklärung der somnambulen Fähigkeit
, im magnetischen Schlaf Dinge zu sehen, die sich in
weiter Entfernung vor dem Auge des Somnambulen abspielen
und von diesem durch scheinbar undurchdringliche Hindernisse
getrennt sind. Für die Erscheinung des Hellsehens,
die bisher im Spiritismus eine Holle gespielt hat, und an
welche die Wissenschaft noch scheu herangetreten ist, wird
nun durch die neue Entdeckung eine natürliche Erklärung
möglich. Denn nachdem Röntgen gezeigt hat, dass die
Lichtwirkung des Aethers unter Umständen auch Stoffe
durchdringt, welche wir bisher für undurchlässig hielten,
können wir annehmen, dass der Somnambule direct, ohne
übersinnliche Vermittelung auch durch das geschlossene Auge
Lichtstrahlen empfindet und zum Bilde formt, welche von
weither Thüre und Wände durchdringen und an seine
Empfindungsnerven gelangen. Immerhin aber bleibt bei
allen wissenschaftlichen Erklärungsversuchen der letzten
Dinge noch ein grosser, unauflöslicher und unbefriedigender
Rest, während die Speculationen des Spiritisten, mögen sie
auch noch so starke Anforderungen an den Glauben stellen,
wenigstens eine Auflösung bieten. („Unterhaltungs-Beilage
des Berliner Lokal-Anzeigers" vom 24. Januar 1896.) Man
vergi. „Psych. Stud." Februar-Heft 1896 S. 91.
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